PAUL SCHEERBART
Heiter sei mein Abendessen
Heiter sei mein Abendessen,
Wenn’s zur Nacht auch traurig geht.
Und der Spott sei nie vergessen,
Wenn auch alles untergeht.
1892
Die Lebenskunst des Phantasten und bekennenden Kampftrinkers Paul Scheerbart (1863–1915) ist hier in vier Zeilen bündig zusammengefasst. Weder mit seinen kühnen Architektur-Visionen und seinen großartigen phantastischen Romanen noch mit seinen hedonistisch aufgelegten Gedichten vermochte der Dichter für sich und seine Familie einigermaßen stabile finanzielle Verhältnisse zu erreichen. Die einzige Produktivkraft, mit der er sich über Wasser hielt, war ein bezwingender Galgenhumor.
Der Vierzeiler entstand 1892, als Scheerbart den Verlag deutscher Phantasten gründete und bald darauf sein Wunderfabelbuch Ja.. was.. möchten wir nicht alles veröffentlichte. Acht Jahre später musste der Autor Berlin verlassen und auf die Insel Rügen ziehen, weil seine Einkünfte nicht mehr ausreichten, um ein Großstadtleben zu führen. Ein vitaler Humorist, der das Lachen als Überlebensmittel kultivierte, ist der Dichter der Katerpoesie (1909) bis zu seinem Tod geblieben.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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