PETER GAN
Angina Pectoris
Ich weiß vor Angst nicht ein und aus,
vor Angst nicht aus und ein.
Einst war’s ein Glück, nun ist’s ein Graus;
Und was wird morgen sein?
Komm, Abend, eh es Morgen wird,
und bette mich zur Nacht.
Mir scheint, ich habe mich geirrt
Und alles falsch gemacht.
Komm, Abend, gib Gelassenheit.
Geh, Welt, laß uns allein.
Es war einmal!… o Mutter Zeit!
Und wird nie wieder sein.
nach 1945
aus: Peter Gan: Ausgewählte Gedichte. Hrsg. v. Friedhelm Kemp, Wallstein Verlag, Göttingen 1994
In einer Epistel „an einen bedeutenden Kritiker“ übte sich der Dichter und melancholische Humorist Peter Gan (1894–1974) in Bescheidenheit: Er sei „von Profession ein Wortemacher“, bekennt Gan in diesem frühen Text, und dies sei „bedenklich und nicht eben viel“. Bei aller „Bedenklichkeit“ ließ sich der auf den Namen Richard Moering getaufte Sohn eines Hamburger Rechtsanwalts, der sich als „Revenant des 18. Jahrhunderts“ sah und wegen seiner Passion für die Poesie enterbt wurde, von seiner Leidenschaft für die Dichtkunst nie abbringen. Seine Gedichte balancieren zwischen Leichtigkeit und Fatalismus.
Als Peter Gan zwischen 1945 und 1948 sein „Lied“ schrieb, hatte die Poesie der Moderne gerade „das Zeitalter der Angst“ (Wystan Hugh Auden) ausgerufen. Angesichts der Verheerungen, die der nationalsozialistische Raubzug durch Europa hinterlassen hatte, benennt Gan hier den schweren Herzanfall als existenzielle Grundgestimmtheit für alle freien Geister. Der Dichter selber war 1938 aus Deutschland geflohen, wurde während des Krieges interniert, floh nach Spanien und kehrte erst 1958 in seine Heimatstadt Hamburg zurück.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
Schreibe einen Kommentar