PETER HACKS
Nikolaus erzählt
Als ich auf den Kalender sah,
Rief ich: Ei, der verhexte!
Die Stiefel her! Die Zeit ist da!
Heut ist ja schon der sechste!
Mein Schlitten brachte mich zum Pol
Und mein Mercedes Benz
Entlang die lange Küste wohl
Westskandinaviens.
Und als ich hinterher zu Schiff
Nach Deutschland reisen wollte,
Ein Mensch nach meinem Sacke griff:
Habn Sie was zu verzollen?
Da riß mir die Geduld geschwind,
Ich zog die Stirne kraus:
Mich kennt, du Schafskopf, jedes Kind.
Ich bin der Nikolaus.
nach 1970
aus: Peter Hacks: Die Gedichte, Edition Nautilus, Hamburg 2000
„Ich glaube, ein verantwortlicher Bürger des 20. Jahrhunderts sollte Kommunist sein und als solcher handeln“: Mit solchen Postulaten hat sich der Dichter und Dramatiker Peter Hacks (1928– 2003) in Ost und West unbeliebt gemacht. In der DDR rügte man in heftigen Kampagnen seine unorthodoxen Theaterstücke, in der Bundesrepublik verzieh man ihm nie, dass er sich 1978 über den DDR-Emigranten Wolf Biermann mokiert hatte. In puncto Formbewusstsein vermochte er bis zuletzt zu brillieren – auch in seinen Kindergedichten.
Dass der heilige Nikolaus von Myra in der Moderne des 20. Jahrhunderts mit Bürokratie und Zollbehörden zu kämpfen hat – das hat sich der Volksheilige, der als segensreicher Wohltäter traditionell am 6. Dezember zum Schenken ausschwärmt, wohl nicht träumen lassen. Bei Peter Hacks hat er in diesem in den 1970er Jahren entstandenen Gedicht aber schon technisch aufgerüstet – dank der deutschen Autoindustrie.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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