Peter Maiwalds Gedicht „Der Überlebende“

PETER MAIWALD

Der Überlebende

Suche für’s erste ein Grab
(damit ich was Sicheres hab).

Pflanze danach einen Baum
(zum Zäune und Galgen baun).

Baue zum dritten ein Haus
(und sperr alle Hauslosen aus).

Zeuge zum vierten ein Kind
(damit wir nicht wehrlos sind).

Schreibe zum letzten ein Buch
(das Leben ist schwer genug).

nach 1980

aus: Peter Maiwald: Balladen von Samstag auf Sonntag. Deutsche Verlags-Anstalt, München 1984

 

Konnotation

Peter Maiwald (1946–2008) war Mitglied der DKP, aus der er als einer der undogmatischen Linken 1984 ausgeschlossen wurde. Der volksliedhafte Tonfall seiner Lyrik ist an Heine und Brecht geschult; die schwungvollen, oft frechen Lehr- oder Liebesgedichte kommen in traditionellen Reimen daher. Maiwald machte keinen Kult aus dem Dichten, sondern bezeichnete es als Handwerk.
Sein Anspruch, eingefahrene Denk- und Sprachgewohnheiten zu entlarven, zeigt sich auch im Gedicht „Der Überlebende“. Die sprichwörtlich gewordenen, routinierten guten Ratschläge, was man im Leben tun solle, werden aufgegriffen und antithetisch verdreht – das scheinbar Positive dient nur der Ausübung von Gewalt in vielerlei Form. Das lyrische Ich, das sich in der zweiten Zeile in einer Klammer verkrümelt, hält allenfalls noch ein Grab für sicher, und selbst das Dichten wird im letzten Vers sarkastisch behandelt. Die Sentenz vom schweren Leben sagt gewissermaßen achselzuckend und reichlich wurstig: Warum nicht auch mal schreiben.

Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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