Peter Rühmkorfs Gedicht „Rennst du gegen Wände…“

PETER RÜHMKORF

Rennst du gegen Wände…

Rennst du gegen Wände,
Mann, was soll der Stuß?!
Irgendwann ist Ende,
irgendwann ist Schluß.

Gestern noch paar Lieder,
allemann zusamm;
und schon seid ihr wieder
raus aus dem Programm.

Kommt’n Interviewer,
fragt nach’m Lebenssinn,
hau dem Wichtigtuer
Portion Hackfleisch hin!

Denkt er dann, er hätt was
– sagnwermal Substanz –
Du und ein zartes Etwas
fliehen außer Lands.

Bon voyage, euch beiden
rund um Welt und Uhr –
Liebe geht mit Leiden
um wie von Natur.

1989

aus: Peter Rühmkorf: Einmalig wie wir alle. Rowohlt Verlag. Reinbek bei Hamburg 1989

 

Konnotation

Der charakteristische Sound des „Elbromantikers“ Peter Rühmkorf (1929–2008) war nicht nur aus den Volksliedstrophen Heinrich Heines und dem lockeren Parlando des „Stabreimmediziners“ Gottfried Benn gemixt, sondern auch aus dem Gelassenheits-Habitus des alten Theodor Fontane. In seinen späten Gedichten erteilt sich der Dichter im Herbst seines Lebens die Lizenz, den Triumph der Kunst über zunehmend widrige Lebensumstände in kalauernder Heiterkeit zu zelebrieren.
In kunstvoller Schnoddrigkeit mokiert sich Rühmkorf bereits anlässlich seines 60. Geburtstags über den epidemischen Kunst-Unverstand seiner Umgebung. Die letzten beiden Strophen entwerfen eine Fluchtphantasie: Der Dichter und sein Allerliebstes, die Poesie, das „zarte Etwas“, setzen sich ab „außer Lands“. Das Ende zitiert die Renitenz und das Sentiment Heinrich Heines: Auch Heine musste seinem Vaterland den Rücken kehren, um weiterschreiben zu können.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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