ROBERT GERNHARDT
Alle oder nichts
Der da! Wie ist er so allein!
Da kommen sieben Frauen rein
ihn herzlich zu begrüßen.
Zwei reiben ihm die Wangen warm,
zwei lagern sich in seinen Arm
und zwei zu seinen Füßen.
Die siebte aber! Ach! Sie schweigt!
Nicht ab-, doch auch nicht zugeneigt
nippt sie zerstreut vom Wein:
Der Da! Wie fühlt er sich allein!
1987
aus: Robert Gernhardt: Körper in Cafés, Gesammelte Gedichte, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1987
Das alte französische Märchen vom Ritter Blaubart, der einen erklecklichen Harem mit sieben Frauen vorweisen kann, die er aber auf die eine oder andere Weise ums Leben bringt, wird in diesem Gedicht des Meister-Humoristen Robert Gernhardt (1937–2006) variiert. Der Gernhardtsche Blaubart, um den sich sieben Frauen scharen, wird urplötzlich von Melancholie befallen – und wird komplett handlungsunfähig.
Die Damen, die ihm servil zu Füßen liegen, scheinen diesen einsamen Frauenhelden nicht sonderlich zu faszinieren. Nur die eine Frau, die Indifferenz vorschützt und ihre Gefühle verbirgt, hat seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Aber das Rätsel dieser echten oder gespielten Gleichgültigkeit vermag dieser Blaubart-Nachfahre nicht zu lösen. Das Gedicht ist erstmals 1987, in dem Band Körper in Cafés erschienen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Schreibe einen Kommentar