Robert Gernhardts Gedicht „Gut und lieb“

ROBERT GERNHARDT

Gut und lieb

Kommt, das gute Brot des Nordens
wolln wir stückchenweise braten
in dem guten Öl des Südens,
wie es schon die Väter taten.
Von dem guten Wein des Westens
trinken wir, dieweil wir essen,
um die liebe Not des Ostens
schlückchenweise zu vergessen.

ca. 1995/96

aus: Robert Gernhardt: Lichte Gedichte, Haffmans Verlag, Zürich 1997

 

Konnotation

Alle Gedichte sind komisch“, betonte Robert Gernhardt (1937–2006), „wenn auch manchmal in kaum mehr nachweisbarer Verdünnung bzw. Vergeistigung.“ In seinen Gedichten präsentiert sich Gernhardt denn auch als ein begnadeter Humorist, der den inoffiziellen Titel des gesellschaftsfähigsten deutschen „Leistungskomikers“ und „Lachstandortverbesserers“ für sich beanspruchen kann.
In seinem Band Lichte Gedichte (1997) hat Gernhardt ein schönes Gedicht über unsere kulturellen Stereotypien im Blick auf die Himmelsrichtungen publiziert, das zugleich als eine lockere Soziologie der europäischen Lebensformen gelesen werden kann. Während auf alle Regionen bestimmte ökonomische Stärken und kulinarische Genüsse projiziert werden, wird der Osten nur in seiner „lieben Not“ wahrgenommen. Diese Not verlangt nach alkoholischer Linderung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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