ROLF BOSSERT
Gartenlokal
Wir sitzen in Städten im Osten.
Man macht Poesie.
Und während die Schreibfedern rosten
Erklärt sich der Krug zum Genie.
Ich liebe die Herbstzeitlose,
Das tut ihr so gut.
Ich trag den April in der Hose,
Den September unter dem Hut.
Mein Auge kullert im Winde.
Die Wimper fällt um.
Ich rede für Taube und Blinde
So um die Dinge herum.
nach 1975
aus: Rolf Bossert: Ich steh auf den Treppen des Winds. Gesammelte Gedichte. Hrsg. von Gerhardt Csejka. Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung, Frankfurt a.M. 2006
Der 1952 im Banat/Rumänien geborene und 1986 durch Freitod gestorbene Rolf Bossert gehört zur deutschen Minderheit in Rumänien, die soviele große deutschsprachige Dichter hervorgebracht hat, wie den Sprachakrobaten Oskar Pastior oder die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Als Mitglied der Aktionsgruppe Banat geriet Bossert zunehmend in Konflikt mit dem rumänischen Regime, da seine Gedichte nicht davor zurückscheuten, der Ceauşescu-Diktatur die Stirn zu bieten.
In drei kurzen liedhaften Strophen spricht der Dichter über sein näheres, dichtendes Umfeld und kleidet über das Selbstporträt einen Kommentar zur Situation ein. „Man macht Poesie“, diese Aussage lässt sich zweifach deuten: Einmal schreiben die Dichter am Rande der Gesellschaft und bilden einen eigenen Kreis, doch „gemachte Poesie“ mag ebenso auf eine offizielle Linie hinweisen, hinter der sich die Propaganda des Regimes verbirgt. So gesehen darf dieses Gedicht ganz im Sinne Schillers als sentimentalische Dichtung verstanden werden.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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