ROLF DIETER BRINKMANN
Wie ein Pilot. Populäres Gedicht Nr. 13
Durch eine völlig
glatte Fläche
ganz aus mono-
chromem Blau segelt
da oben der Pilot.
Man sieht und denkt
das gleichzeitig in
einem Bild zusammen
das mit einem Ruck
verschwindet. Später
sagt man sich, daß
man es selbst gewesen
ist, der dort als
winzig kleiner Punkt
verschwunden ist
wie ein Pilot.
1968
aus: Rolf Dieter Brinkmann: Standphotos. Gedichte 1962–1970. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1980
In Anlehnung an die amerikanische Pop-Literatur propagierte der rebellische Poet Rolf Dieter Brinkmann (1940–1975) eine an alltäglichen Erfahrungen und „Empfindlichkeiten“ orientierte Dichtung des „snap-shots“. Aus der Montage von Filmbildern, Reklamebildern, zufällig aufgeschnappten Gesprächsfetzen oder Schlagermelodien sollte ein „Film in Worten“ entstehen. Viele von Brinkmanns Gedichten aus den Jahren 1966–68 lesen sich wie Wahrnehmungsübungen, die das Erscheinen und Verschwinden eines Bildes durchspielen.
Während Brinkmann in seinen poetologischen Bekenntnissen stets den Primat der sinnlichen Wahrnehmung dekretiert hat, scheinen die Gedichte selbst die Täuschungsanfälligkeit der sinnlichen Unmittelbarkeit zu zeigen. Im Pilot-Gedicht aus dem Jahr 1968 tauschen das Subjekt und das Objekt der Anschauung die Plätze. Wie verlässlich ist ein Bild, das unwiderlegbar evident schien wie der am blauen Himmel dahinsegelnde Pilot? Das Bild verschwindet jäh – und erweist sich als Spiegelung des Ich.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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