Ron Winklers Gedicht „Anruf von weiter oben im Stammbaum“

RON WINKLER

Anruf von weiter oben im Stammbaum

selbstverständlich kannst du ein Weltall haben. Oder
nimm zwei. als Trostblüte oder gleich als Vizesituation
für einen Kopiergast. wie geht’s eigentlich? Immer
noch waffenartiger Hunger? gründe doch eine Party gegen das
industrielle Kauen. und fülle bitte einige Beschreibungen
auf. du weißt ja: Sonntag ist zu.
ich bin fast noch im Halbschlamm. ich mein: diese Entität
hier ist
bis auf die Faunenverfälschung okay, meine
Korrekturschleife
aber noch nicht ganz zu Ende. meld dich doch bitte zurück.
am Besten im Ordner erwünscht.
Ich wünsche dir noch eine gute Kontaktrealität. und am Himmel
immer ein Auch von Sonne.

2006/2007

aus: Ron Winkler: Fragmentierte Gewässer. Berlin Verlag, Berlin 2007

 

Konnotation

Die Gedichte des 1973 in Jena geborenen Ron Winkler wurden von der Kritik zu Gebilden einer neuen, metasprachlichen Natur-Poesie erklärt. Doch im Gegenteil darf Winkler einer Poesie zugeordnet werden, die mit sprachlichen Kulissen und Wortfeldkombinationen an der Hintertreibung lyrischer Illusionserzeugung arbeitet. Das lässt sich beispielsweise an folgendem, wie aus dem Off gesprochenen Gedicht ablesen:
Den „Anruf von weiter oben im Stammbaum“ prägt eine Sprache, deren Funktionen nicht der Beschreibung einer Szenerie dienen, vielmehr liegen hier Embleme von Sprachkritik vor, Erzeugnisse einer Metasprache, deren Verzweigungen den Weg der größten Zuspitzung einschlagen. Nur scheinbar werden soziologische Kontexte der Weltvergewisserung verhandelt. Der Diskurs selber und mögliche Diskurs-Teilnehmer werden aber zu Teilen einer Szenerie, die aus belebten Begriffen und kühnen Metaphern besteht.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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