ROSE AUSLÄNDER
Damit kein Licht uns liebe
Sie kamen
mit scharfen Fahnen und Pistolen
schossen alle Sterne und den Mond ab
damit kein Licht uns bliebe
damit kein Licht uns liebe
Da begruben wir die Sonne
Es war eine unendliche Sonnenfinsternis
nach 1957
aus: Rose Ausländer: Die Sichel mäht die Zeit zu Heu. Gedichte 1957–1965, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1985
Die Poesie der als Rosalie Scherzer geborenen Dichterin Rose Ausländer (1901–1988) zehrt vom barocken Sprachmilieu ihrer Geburtsstadt, der Vielvölkerstadt Czernowitz am östlichen Rand der Habsburgermonarchie, in der sich Mythen und Märchen aus unterschiedlichsten Traditionen und Kulturen kreuzten und überlagerten. Nach dem frühen Tod ihres Vaters wanderte die Dichterin gemeinsam mit ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer in die USA aus, wo sie ihre ersten Gedichte publizierte. 1931 kehrte sie zu ihrer kranken Mutter nach Czernowitz zurück und erlebte dort den Einbruch des Schreckens in Gestalt der einmarschierenden SS-Truppen.
Zusammen mit ihrer Mutter wurde Rose Ausländer damals ins eilig errichtete Ghetto von Czernowitz eingeliefert, und lebte seit 1943 in Kellerverstecken, um der Deportation in die Vernichtungslager zu entkommen. Von dieser Zeit der Deportation und Ermordung von 60.000 Czernowitzer Juden handelt auch ihr Gedicht. Nach erneuter Auswanderung in die USA und langen Jahren des Verstummens fand Rose Ausländer erst 1956 ins poetische „Atemwort“ zurück.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Von Herzen sind wir der Dichterin dankbar, dass sie die Sonne wie kaum eine andere Lyrikerin oder ein anderer Lyriker später wieder gefeiert hat.
z.B.: “Ach Sonne / ich zähl nicht mit / wo woviel Gold / ist im Spiel” (Sonnenaufgang I)
oder
“Der Tag / scheibt andere Gedichte / sein schönstes / trägt er mir vor / Sonne” (Sonne I)