ROSE AUSLÄNDER
Noch bist du da
Wirf deine Angst
in die Luft
Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends
Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da
Sei was du bist
Gib was du hast
nach 1975
aus: Rose Ausländer: Gesammelte Werke Bd. V: Ich höre das Herz des Oleanders, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1995
„Ich lebe / in meinem Mutterland / Wort“, lautete das poetologische Credo der in der Vielvölkerstadt Czernowitz aufgewachsenen Dichterin Rose Ausländer (1901–1988), die zweimal ihre Sprachheimat verließ: das erste Mal nach dem Tod ihres Vaters, das zweite Mal, nachdem sie nur mit Glück den Vernichtungsfeldzug der SS in Kellerverstecken überlebt hatte. In den letzten zehn Jahren ihres Lebens war sie bettlägerig und konnte ihre Wohnung nicht mehr verlassen.
Ihr Zimmer im Nelly Sachs-Haus in Düsseldorf wurde in den späten l970er Jahren zur Wallfahrtsstätte, so dass sich die Dichterin schließlich selbst zum Pflegefall erklärte, um den Ansturm ihrer zahlreichen Bewunderer abzuwehren. In den Gedichten aus diesen letzten Jahren findet sich auch der anrührende Text „Noch bist du da“, in dem das lyrische Ich im Blick auf den heranrückenden Tod Abschied nimmt von der Welt. – Selbst diese Abschiedsverse lesen sich wie ein Appell der Ermutigung.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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