SABINA NAEF
du verlierst dich an jeder Straßenecke
an den Wind, an eine Wolke, ans Leben
Achtung: frisch gestrichen
dein Herz steht sperrangelweit offen
keine Zeit, deine Knochen zu zählen
2005
aus: Sabina Naef: leichter Schwindel. Edition Korrespondenzen, Wien 2005
Die 1974 in Luzern geborene Sabina Naef studierte in Lausanne und Zürich Germanistik und Romanistik. 1998 erschien ihr erster Gedichtband Zeitklippe, der zweite trägt den etwas gefälligen Titel tagelang möchte ich um diese Ecke biegen (2001). Naef bevorzugt das kurze Gedicht, die lyrische Miniatur. Ihr Markenzeichen ist ein sanfter Surrealismus, der den Gegenständen ihre poetische Aura zurückgibt. Der unscheinbarste Anlass genügt, um den Alltag in Schwingung zu versetzen.
Sabina Naefs wie getuschte Gedichte bewegen sich zwischen Realität und Phantasie, wodurch ein leichter Schwindel (so der Titel ihres 2005 erschienenen dritten Bandes) eintreten kann. So auch in diesem lakonischen Gedicht, einer Straßenszene, die sich gedankenverlorenem Beobachten verdankt. Nichts ist eindeutig. Irritierend die Schlussverse, die einen plötzlichen Liebesmoment festhalten, der dem Ich keine Zeit mehr lässt, sich seiner selbst zu vergewissern.
Michael Buselmeier (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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