Sarah Kirschs Gedicht „Keiner hat mich verlassen“

SARAH KIRSCH

Keiner hat mich verlassen
Keiner ein Haus mir gezeigt
Keiner einen Stein aufgehoben
Erschlagen wollte mich keiner
Alle reden mir zu

1967

aus: Sarah Kirsch: Sämtliche Gedichte. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005

 

Konnotation

Die Natur nimmt in den Gedichten der 1935 im thüringischen Limigenrode geborenen Sarah Kirsch eine zentrale Rolle ein. Sarah Kirsch, die als Schriftstellerin bereits in der DDR eine beachtliche Karriere gestartet hatte und die infolge des Protests gegen die Biermann-Ausbürgerung nach Westdeutschland übersiedeln musste, lebt heute zurückgezogen in der Nähe von Hamburg. Neben dem Naturerlebnis sind es aber hintergründig-ironische bis sarkastische Verse, die sie schreibt.
Das Ich in dem Gedicht sieht sich zwischen Erwartungen und Bestimmungen eingezwängt. Die von ihm getroffenen Aussagen kennzeichnet dabei eine Paradoxie, denn die Feststellungen des Subjekts lassen sich ebenso ironisch lesen wie wörtlich nehmen. Die Geste ermutigenden Zuredens am Schluss wird dadurch zum Höhepunkt einer Fremdbestimmung, der die Wünsche und Hoffnungen des gefangenen Ichs gleichgültig sind.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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