STEFAN GEORGE
IHR wisst nicht wer ich bin.. nur dies vernehmt:
Noch nicht begann ich wort und tat der erde
Was mich zum menschen macht.. nun naht das jahr
In dem ich meine neue form bestimme.
Ich wandle mich doch wahre gleiches wesen
Ich werde nie wie ihr: schon fiel die wahl.
So bringt die frommen zweige und die kränze
von veilchenfarbenen von todesblumen
Und tragt die reine flamme vor: lebt wohl!
Schon ist der schritt getan auf andre bahn
Schon ward ich was ich will. Euch bleibt beim scheiden
Die gabe die nur gibt wer ist wie ich:
Mein anhauch der euch mut und kraft belebe
Mein kuss der tief in eure seelen brenne.
1914
Das formal strengste Gedichtbuch Stefan Georges (1868–1933), der Stern des Bundes (1914) wird durch neun „Eingangs“-Gedichte eröffnet, in denen sich der Dichter in heroischer Stilgebärde an die Leser (und zugleich an seine Jünger) wendet. Das Ich stilisiert sich zum Unberührbaren und zum einsamen Propheten, der sich selbst Gesetz ist und die Wende zu einer neuen Daseins-Bahn verkündet.
Im priesterlich hohen Ton stellt sich „der Meister“ seinen Jüngern und einem imaginären Auditorium vor und grenzt sich zugleich ab von irdischen Begehrlichkeiten. Das Propheten-Ich träumt: vom Anbruch der neuen Zeit, nachdem es sich selbst eine „neue Form“ gegeben hat. Auch wer diesen Gestus der Selbsterhöhung aus guten Gründen mit Skepsis betrachtet, sollte sich nicht irreführen lassen von der poetischen Inszenierung Georges. Wo der Dichter die Prophetie und das Sehertum am markantesten intoniert, spielt er immer zugleich ein Maskenspiel, webt er sich ein in ein Netz von Zitaten und Referenzen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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