STEFAN GEORGE
Im windes-weben
Im windes-weben
War meine frage
Nur träumerei.
Nur lächeln war
Was du gegeben.
Aus nasser nacht
Einglanz entfacht –
Nun drängt der mai
Nun muss ich gar
Um dein aug und haar
Alle tage
In sehnen leben
1907
Die vier Schluss-Zeilen dieses Gedichts rechnete der Philosoph Theodor Adorno „zu dem Unwiderstehlichsten…, was jemals der deutschen Lyrik beschieden war“. In der rhythmischen Struktur und der Sprachmelodie scheint dieser Text von Stefan George (1868–1933) aus dem Zyklus „Der Siebente Ring“ (1907) den Tönen und Topoi der Romantik zu folgen, auch ein Echo des Minnesangs weht herüber. Aber es gibt keine Erlebnisinnigkeit zwischen Ich, Du und Natur; sondern eine markante Distanz.
Das lyrische Subjekt vergegenwärtigt eine versunkene Seelenlage: Was das Ich und das Du jemals verbunden hat, ist vorbei, es bleibt die trauernde Erinnerung an ein distanziertes „Lächeln“. Die Sehnsucht des Ich bleibt unerfüllt. Die weiche Sprachmelodie und der hohe Ton des Textes ließen Adorno spekulieren, hier habe sich George an der Rettung der „Idee einer reinen Sprache“ versucht.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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