Stephan Turowskis Gedicht „Im neuen Stil“

STEPHAN TUROWSKI

Im neuen Stil

Ich schreibe jetzt im neuen Stil,
kein Wort mehr von dir.
Ich schreibe vom Wetter,
es donnert und blitzt,
beim Nachbarn hat’s eingeschlagen,
die Tochter läuft brennend durchs Haus.
Ab morgen soll es regnen,
die ganze nächste Woche,
ich werde mir einen Schirm kaufen,
sobald es aufgehört hat.

nach 2005

aus: Lyrik von Jetzt zwei. Hrsg. von Björn Kuhligk und Jan Wagner. Berlin Verlag, Berlin 2008

 

Konnotation

Stephan Turowski, Jahrgang 1972, veröffentliche 2006 seinen ersten Lyrikband Und jetzt bist du nackt. Daneben schreibt er Theaterstücke und ist Sprecher und Texter der Musik-Poesie-Band Kopfab. In der Anthologie Lyrik von Jetzt 2 (2008) entwickelt er die größte Bereitschaft zu einem lapidaren und sarkastischen Stil.
Das Gedicht zeigt ein lyrisches Ich, dem die Liebe abhanden kam, und dieses persönliche Desaster spiegelt sich in den äußeren Verhältnissen. Das Ich will zwar nur noch so Harmloses wie das Wetter darstellen, aber selbst das gerät zum Unwetter. Ein unseliger Liebhaber, der seiner Verflossenen schreibt, dass er nicht mehr von ihr schreibt – über diese leise Ironie könnte man lachen. Aber das unerwartet auftauchende, schockierende Bild der brennenden Nachbarstochter setzt sich wie ein Widerhaken in einem fest, gerade weil das Ich so ungerührt bleibt, weil es in der eigenen Absurdität gefangen ist. Ein Schirmkauf, wenn er unnötig geworden ist? Turowski entwirft häufig realistische Szenerien, die ins Schräge, Irreale gleiten.

Sabine Peters (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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