THEODOR FONTANE
Ausgang
Immer enger, leise, leise
ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.
1888
„Ich habe mit dem Tod geredet“, heißt es einmal im Roman Die unsichtbare Loge des eigensinnigen Gegen-Klassikers Jean Paul, „und er hat mir versichert, es gebe weiter nichts als ihn.“ Von dieser Allgegenwart und Omnipräsenz des Todes und vom Dahinschwinden aller Lebensenergien handeln auch die sechs anrührenden Verse, die der große Romancier Theodor Fontane (1819–1898) nach einigen fundamentalen Erschütterungen seines Lebens geschrieben hat.
Im Frühjahr 1888, einige Monate nach dem Tod seines Sohnes, schrieb Fontane diese Verse, die den Blick von dem „letzten dunklen Punkt des Lebens“ nicht mehr abwenden können. Ihr Ton ist verhalten, die fast geometrische Bildlichkeit („Kreise“, „Punkt“) ist streng auf das Faktum des Todes konzentriert. Der seltsame Titel des Gedichts scheint den Skandal des Todes fast neutralisieren zu wollen. Das Wort „Ausgang“ dämpft mit seiner nüchternen Lapidarität die melancholische Schwere der Rede von den letzten Dingen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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