THEODOR FONTANE
Es kribbelt und wibbelt weiter
Die Flut steigt bis an den Arrarat
Und es hilft keine Rettungsleiter,
Da bringt die Taube Zweig und Blatt –
Und es kribbelt und und wibbelt weiter.
Es sicheln und mähen von Ost nach West
Die apokalyptischen Reiter,
Aber ob Hunger, ob Krieg, ob Pest,
Es kribbelt und wibbelt weiter.
Ein Gott wird gekreuzigt auf Golgatha,
Es brennen Millionen Scheiter,
Märtyrer hier und Hexen da,
Doch es kribbelt und wibbelt weiter.
So banne dein Ich in dich zurück
Und ergib dich und sei heiter;
Was liegt an dir und deinem Glück?
Es kribbelt und wibbelt weiter.
1888/89
Theodor Fontane (1817–1898) hat 1888/1889 ein ungewöhnliches Endzeit-Gedicht mit heiter-komischen Untertönen geschrieben. Die Figuren und Schauplätze dieser apokalyptischen Phantasie sind aus biblischen Erzählungen bekannt: Der erloschene Vulkan im Hochland von Armenien, auf dem die Arche Noahs landete und die mythischen apokalyptischen Reiter aus der Offenbarung des Johannes. Gegen die Endzeit-Ängste empfiehlt das lyrische Ich die „gelassene Heiterkeit“ des römischen Stoikers Seneca.
Die literaturwissenschaftliche Forschung hat darauf hingewiesen, dass Fontanes eigenartiger Refrain „Es kribbelt und wibbelt weiter“ auf Fügungen aus der romantischen Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn („Der Prinzenraub“) zurückgeht. Ein Volkslied des 18. Jahrhunderts lieferte die motivische Verknüpfung zur Arche Noah: „Auk die Arche Noah soll / Sick hier präsentiere; / Kribbli, wibbli, alles voll / Von vierfüßke Thiere…“
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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