THOMAS BRASCH
WER DURCH MEIN LEBEN WILL, MUSS DURCH MEIN ZIMMER
willst du verhaftet sein: jetzt oder immer
Wer in mein Leben will, geht in mein Zimmer
wer mit mir leben will
muß in mein Zimmer
könnt ich woanders hin
leben für immer,
würde ich nie wo anders sein,
lebt ich in jeder Kammer.
nach 1990
aus: Thomas Brasch: Wer durch mein Leben will, muss durch mein Zimmer. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2002
Im Nachlass des einst als „Ulysses aus Charlottenburg“ bejubelten Dichters Thomas Brasch (1945–2001), den schwere Melancholie und ein exzessives Leben in einen frühen Tod trieben, fand man tief bewegende Gedichte eines Mannes, dem schon bald nach Beginn seiner literarischen Karriere die Welt zerbrach und der früh vom Vorgefühl des eigenen Untergangs zu sprechen begann. Ab Mitte der 1980er Jahre empfand sich Brasch als ein Verlassener, der in heilloser Traurigkeit sein Eremitendasein besingt.
Es gibt einige Gedichte im literarischen Nachlass Braschs, die diese Situation des Rückzugs beschreiben: In seinem Zimmer wandert das Ich der Gedichte hin und her und buchstabiert das Alphabet seines Verstummens. Es ist eine Zimmer- und Kammer-Existenz, die das Subjekt dieser Gedichte führt, fast eine Art Gefangenschaft, an der auch die Zugewandtheit anderer Menschen nichts ändern kann.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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