Thomas Klings Gedicht „wespen“

THOMAS KLING

wespen

mit der zeitung / der illustrierten;
mit dem kehrblech; mit dem hand-
tuch (für oben / unten, fürs geschirr);
mit dem hausschuh, besonders in der
nähe von lichtquellen. indem wir be-
enden wie die fluggeometrie. -feld:
tapeten, fensterscheiben; schwarz
gelb. hingeknirscht (kurze knirschung).
schwarz gelb. panzerung (gesprengt)
schwarz gelbe. krümmung (mit fühlern).

1986

aus: Thomas Kling: Gesammelte Gedichte. Hrsg. v. Marcel Beyer und Christian Döring. DuMont Buchverlag, Köln 2006

 

Konnotation

Im Bildprogramm des Dichters Thomas Kling (1957–2005) steht ein Insekt im Zentrum, das Aggressivität und Schnelligkeit vereint: die Wespe. Die Identifikation des Dichters mit seinem Lieblingstier ging so weit, dass er gerne einen schwarz-gelben Streifenpullover trug. Es hat auch seine ästhetische Konsequenz, dass für die Ausgabe der Gesammelten Gedichte Klings ein Umschlag in schwarz-gelber Musterung gewählt wurde. Das erste „wespen“-Gedicht findet sich in Klings Debütband erprobung herzstärkender mittel (1986).
Das stachelbewehrte Insekt wird zunächst aus der Perspektive seiner Gegner betrachtet, die es mit diversen Haushaltsgegenständen zur Strecke bringen wollen. Diesem Alltagsbild der Jagd auf ein bedrohliches Insekt setzt der Dichter in schroffer Fügung seine faszinierte Nahsicht auf die sinnliche Präsenz des Tiers entgegen, auf seine „Fluggeometrie“ und „schwarz gelbe“ Erscheinung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00