TOM POHLMANN
Von Kaff zu Kaff
Diese Legende vom verwirrten,
überdrehten, abgedrehten Hund.
Diese Legende vom ins Endlose
erweiterbaren Hund.
Der Hund als Anbauküche
für das Schnitzel, und die Schmerzen
und die Marmeladengläser –
wenn man die Schnabeltasse
nicht mitzählt. Die Legende
vom verdrehten, vom verirrten
armen, aber dehnbaren Wesen
aus Knochen und Fell.
1997
In: Das verlorene Alphabet. Deutschsprachige Lyrik der neunziger Jahre. Hrsg. v. Michael Braun und Hans Thill. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 1998
Die poetische Phantasie ist tendenziell expansiv und von keiner zweckrationalen Vernunft begrenzbar. Wer sich zur Kühnheit surrealistischer Bildfindungen bekennt, wie der Leipziger Dichter und Experimentalfilmer Tom Pohlmann (geb. 1962), der zelebriert auch gerne den Eigensinn eines lyrischen Einfalls.
Die Ausweitung einer poetischen Idee ins Visionäre oder krud Absurde wird hier am Beispiel einer Hunde-„Legende“ demonstriert. Eine experimentelle Studie über Arthur Rimbaud (1854–1891) und „die Wurzeln der Moderne“ hatte Pohlmann bereits 1997 mit dem Titel „Von Kaff zu Kaff’“ versehen. Das exemplarische Gedicht dazu zeigt die Möglichkeiten der poetischen Bildfügung, einen Hund in metaphorisch ungewohnte Kontexte zu bringen. Neben die hinreißende Komik des Textes tritt der erkennbare Versuch, wie einst die Ahnen der surrealistischen Bewegung „die zufällige Begegnung zwischen einem Regenschirm und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch“ zu inszenieren.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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