UNBEKANNTER DICHTER
Kinderreim
Wir sind vom Idiotenclub
Und laden herzlich ein
Bei uns ist jeder gern gesehn
Nur dußlig muß er sein
Bei uns gilt die Parole
Stets doof bis in den Tod
Und wer bei uns der Doofste ist
Ist Oberidiot
1960er Jahre
aus: Peter Rühmkorf (Hrsg.): Über das Volksvermögen. Exkurse in den literarischen Untergrund. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 1967
Bei seinen „Exkursen in den literarischen Untergrund“ hat der Form-Artist und literarische „Linksausleger“ Peter Rühmkorf (1929–2008) dereinst eine Sammlung derber Volkspoesie angelegt. In Über das Volksvermögen (1967) sind alle rebellischen Tonarten vertreten: vom mündlich überlieferten Abzählvers, dem subversiven Schülerreim bis hin zum Antischlager und zur boshaften Spott-Litanei. Am markantesten hat sich „das Vermögen, frech und unbefangen mit Dreck zu werfen“, in der Pausenhof-Poesie aus Schülermund niedergeschlagen.
Mit entschlossenem Willen zur Verletzung der Konvention und des „guten Tons“ haben solche Sprüche stets die Empörung der pädagogischen Vernunft provoziert. Gegen das Herrschaftsbewusstsein der Auserwähltheit setzt der Spottvers ironisch das Bekenntnis zur Community der „Idioten“. Wenn man hier die Bedeutung des „Idioten“ in der griechischen Antike zugrundelegt, dann wird ein trotziger Widerstandswille sichtbar: Denn ein „Idiot“ war das auf sich selbst zurückgeworfene Subjekt, dem das Politische untersagt war.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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