Unbekannter Autor Gedicht „Lügenmärchen“

UNBEKANNTER DICHTER

Lügenmärchen

Eine Kuh, die saß im Schwalbennest
mit sieben jungen Ziegen,
die feierten ihr Jubelfest
und fingen an zu fliegen.
Der Esel zog Pantoffeln an,
ist übers Haus geflogen,
und wenn das nicht die Wahrheit ist,
so ist es doch gelogen.

19. Jahrhundert

 

Konnotation

Mit Rätselsprüchen, Zungenbrechern, Scherzgedichten und Lügenmärchen hat die literarische Phantasie seit je eine bloß zweckrationale Vernunft aus den Angeln gehoben. Auch die Naturgesetze und die biologischen Realitäten haben keine Gültigkeit mehr, wenn die von der Eigendynamik des Reims entfesselte poetische Wahrheit ans Licht tritt.
Ungeklärt ist die Autorschaft dieses Lügenmärchens, das den freizügigen Umgang mit der Wahrheit selbst einräumt. Verschiedene Quellen nennen den Hamburger Naturalisten Gustav Falke (1853–1916) als Urheber, einen zu seiner Zeit erfolgreichen Verfasser von Kinderversen und Scherzgedichten. Wahrscheinlicher ist, dass Falke selbst auf den reichen Schatz an alten deutschen Kinderliedern zurückgegriffen hat, der seit der ersten romantischen Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn (1806/08) große Verbreitung fand.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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