W.G. SEBALD
Merkzettel
Feuer legen und Rauch
für die Zukunft deuten
Asche hinaustragen dann
über den Kopf werfen
Ja nicht dabei
sich umschaun
Kunst der Verwandlung
probieren
Gesicht mit
Zinnober bemalen
Zum Zeichen
der Trauer
1981–1984
aus: W.G. Sebald: Über das Land und das Wasser. Gedichte 1964–2001. Hrsg. von Sven Meyer. Hanser Literaturverlag, München 2008
W.G. Sebald, 1944 im Allgäu geborener Germanist, ist 1966 nach England ausgewandert. Neben seiner Universitätslaufbahn, die mit bedeutenden literaturwissenschaftlichen Arbeiten einherging, entstand seit Ende der 1980er Jahre ein literarisches Werk, das weltweite Anerkennung fand, Prosatexte wie Die Ausgewanderten (1992) oder Die Ringe des Saturn (1995). Als Sebald 2001 bei einem Autounfall starb, galt er als einer der wichtigsten Erzähler deutscher Sprache, doch kaum jemand wusste, dass er auch Gedichte schrieb.
Seine Gedichte sind durchweg reimlos, in freien Rhythmen, knapp und lakonisch gehalten. Wie alle seine Werke sind sie von Melancholie durchdrungen. Das vorgestellte Gedicht ist Teil eines als Typoskript hinterlassenen Konvoluts „Über das Land und das Wasser“ und auf die Zeit zwischen 1981 und 1984 datierbar. Auf dem „Merkzettel“ sind in lapidarer Strenge magische Handlungen, ja ein archaisches Totenritual verzeichnet.
Michael Buselmeier (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
Schreibe einen Kommentar