WALTER HÖLLERER
Der lag besonders mühelos am Rand
Der lag besonders mühelos am Rand
Des Weges. Seine Wimpern hingen
Schwer und zufrieden in die Augenschatten.
Man hätte meinen können, daß er schliefe.
Aber sein Rücken war (wir trugen ihn,
Den Schweren, etwas abseits, denn er störte sehr
Kolonnen, die sich drängten) dieser Rücken
War nur ein roter Lappen, weiter nichts.
Und seine Hand (wir konnten dann den Witz
Nicht oft erzählen, beide haben wir
Ihn schnell vergessen) hatte, wie ein Schwert,
Den hartgefrorenen Pferdemist gefaßt,
Den Apfel, gelb und starr,
Als wär es Erde oder auch ein Arm
Oder ein Kreuz, ein Gott: ich weiß nicht was.
Wir trugen ihn da weg und in den Schnee.
1952
aus: Walter Höllerer: Gedichte 1942–1982. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1982
Das berühmteste Gedicht des Dichters, Zeitschriftenherausgebers und Literaturvermittlers Walter Höllerer (1922–2003) handelt von der Begegnung mit dem Tod. Es steht in seinem lyrischen Debütband Der andere Gast (1952) und wurde in die prägenden Anthologien der fünfziger und sechziger Jahre aufgenommen. Auf einem nicht näher bestimmten Kriegsschauplatz treffen in Kolonnen marschierende Soldaten auf ein „störendes“ Objekt. Es ist ein toter Soldat, der, in seinem Blute liegend, von seinen Kameraden oder – das bleibt offen – von gegnerischen Streitkräften beiseite getragen wird.
Es ist die fast emotionslose Nüchternheit dieses Gedichts, der kalte, fast anatomische Blick auf den Körper des toten Soldaten, die auch heute noch verstören. Die Erschütterung des Beobachters vor dem Schrecken wird kunstvoll verborgen. Es regiert der sezierende Blick. Es wird auch die häufig strapazierte Lebenslüge vom friedfertig schlafenden Toten abgewehrt. Denn die Gewaltsamkeit dieses Sterbens ist von furchtbarer Evidenz.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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