WILHELM BUSCH
Mein Lebenslauf
Mein Lebenslauf ist bald erzählt.
In stiller Ewigkeit verloren
Schlief ich, und nichts hat mir gefehlt,
Bis daß ich sichtbar ward geboren.
Was aber nun? – Auf schwachen Krücken,
Ein leichtes Bündel auf dem Rücken,
Bin ich getrost dahingeholpert,
Bin über manchen Stein gestolpert,
Mitunter grad, mitunter krumm,
Und schließlich musst’ ich mich verschnaufen.
Bedenklich rieb ich meine Glatze
Und sah mich in der Gegend um.
O weh! Ich war im Kreis gelaufen,
Stand wiederum am alten Platze,
Und vor mir dehnt sich lang und breit,
Wie ehedem, die Ewigkeit.
1907
Dieses Gedicht schrieb der sarkastische Poet, Illustrator und „Bilderpossen“-Macher Wilhelm Busch (1832–1908), als er schon „ziemlich lange hübsch abgeschabt war auf dieser Erdkruste“: nämlich 1907, anlässlich seines 75. Geburtstags. Der von der Philosophie Schopenhauers Begeisterte beginnt seinen „Lebenslauf“ mit einer glücklichen Vorgeschichte, dem Zustand des Ungeboren-Seins.
Das Ich des Dichters macht im Vollzug seiner Lebensgeschichte eine jämmerliche Figur: Von Beginn an „stolpert“ und „holpert“ es durch sein Dasein, oft auf „krummen“ Wegen. Am Ende stellt der Lebensreisende fest, dass er nur im Kreis gelaufen ist; was bleibt ist die Einkehr in das bewusstlose Dahindämmern in der Ewigkeit. Trostsprüche an das bürgerliche Publikum hat der Sarkast Busch immer verweigert.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
Passt wunderbar in diese Zeit, die anscheinend den Tod vor Augen, uns alle fordert, aufzuwachen, die Wirklichkeit zu akzeptieren…
… nicht nur diese Welt, sondern auch die Ewigkeit, die uns tröstet und trotz allem BLEIBT✨
HILDE LICHTENFELS 22.5.2021