WILHELM BUSCH
Sahst du das wunderbare Bild von Brouwer?
Es zieht dich an, wie ein Magnet.
Du lächelst wohl, derweil ein Schreckensschauer
Durch deine Wirbelsäule geht.
Ein kühler Dokter öffnet einem Manne
Die Schwäre hinten im Genick;
Daneben steht ein Weib mit einer Kanne,
Vertieft in dieses Mißgeschick.
Ja, alter Freund, wir haben unsre Schwäre
Meist hinten. Und voll Seelenruh
Drückt sie ein andrer auf. Es rinnt die Zähre,
Und fremde Leute sehen zu.
1874
Erst nach etlichen Lebensniederlagen hatte sich Wilhelm Busch (1832–1908) zum Chronisten der menschlichen Heimtücke und unbelehrbaren Misanthropen entwickelt. Ursprünglich wollte Busch, der eine Polytechnische Schule in Hannover besucht hatte, zum friedlichen Musensohn reifen. 1851 ging er nach Düsseldorf um Maler zu werden. 1852 stand er in Antwerpen vor den Meisterwerken eines Peter Paul Rubens und Adriaen Brouwer – eine ernüchternde Erfahrung, die ihn von seiner Utopie vom Malerdasein abbrachte.
In seinem Gedicht aus dem Band Kritik des Herzens (1874) beschreibt er die Begegnung mit den Malern der niederländischen Schule als entscheidenden Wendepunkt auch in seiner philosophischen Weltsicht. Brouwers Bild zeigt – wie auch Buschs Gedicht – den unbarmherzigen Blick des Anatomen: Es ist der Blick auf den Menschen in seiner Verwundbarkeit. An seinem Leib werden Operationen vorgenommen, und niemand schützt ihn vor den Blicken der Voyeure.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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