Wolf von Niebelschütz’ Gedicht „Vergangene Liebe“

WOLF VON NIEBELSCHÜTZ

Vergangene Liebe

Vormals, eh ich noch liebte, sah ich dich wahrer,
Später machte dein Duft mich blind –
Da er mir wehte, um wieviel glaubt ich ihn klarer,
Reiner als Nacht, als Schnee und Wind.

Aber vorzeiten – da sah ich uns schon zusammen,
So wie wir heut beieinander gehn:
So auf der Asche von ganz erloschenen Flammen,
Einsam entfremdet und ohne Verstehn.

Seh ich ins Auge dir, seh ich in deinen Grund,
Keine Flammen glühten dort je für mich,
Ach, und die meinen vergehn, die dir nichts galten.

Aber so rein und stille verzehrten sie sich
Daß ich dich nie in Armen gehalten,
Nie deinen Atem gespürt, deinen Mund.

1939

aus: Hundert notwendige Gedichte. Hrsg. v. M. Politycki. Luchterhand Literaturverlag, Hamburg – Zürich 1992

 

Konnotation

Wolf von Niebelschütz (1913–1960) ist ein heute fast vergessener Solitär der Nachkriegsliteratur. 1949, als man in Deutschland noch von der „Trümmerliteratur“ sprach und nach Auswegen aus den Hungerwintern suchte, veröffentlichte er bei Suhrkamp einen monumentalen Roman über höfische Intrigen im Barock. Der Abkömmling aus schlesisch-böhmischem Uradel hatte 1939 erste Gedichte in der Kulturzeitschrift Neue Rundschau veröffentlicht.
Als Unteroffizier der Luftwaffe in Paris nutzte Niebelschütz ab 1940 die Nächte, um seine Kunst der „Sprachverfeinerung“ zu betreiben. Tagsüber hatte er seinen Soldatendienst zu leisten. Das wurde dem Schreibbesessenen als Bedingung von seinen militärischen Vorgesetzten abgefordert. Die von ihm erfundenen Geschichten im royalistischen Milieu entrückter Imperien sind die denkbar radikalste Abweichung von den drängenden Fragen der Weltkriegsschrecken. Das in hohem Hofmannsthal-Ton gehaltene Gedicht „Vergangene Liebe“ wurde erstmals 1942 in dem Band Die Musik macht Gott allein gedruckt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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