WOLF WONDRATSCHEK
Angenehm diese Wohnung
Einer schreit Hilfe,
doch niemand hört.
Ich sage, angenehm diese Wohnung,
wo einer schreien kann
und nicht stört.
um 1980
aus: Wolf Wondratschek: Die Gedichte. Zweitausendeins, Frankfurt a.M. 2007
Der 1943 geborene Wolf Wondratschek begann als Autor von kurzen experimentellen Prosatexten, die seine Opposition zur herkömmlichen Literatur dokumentierten. In den 1970er Jahren veröffentlichte er einige Gedichtbände, die außerhalb des Verlagsbuchhandels, auf dem Versandweg, ungewöhnlich hohe Auflagen erzielten. Darunter befanden sich auch Liedtexte, mit denen er zum deutschen Rock-Poeten avancierte. Er besang die „Einsamkeit der Männer“ und die „Hure Domenica“ und begeisterte sich für den Boxsport.
In seinen coolsten Momenten, so auch in diesem um 1980 verfassten Gedicht, gelingen Wondratschek Sprachbilder von lapidarer Verdichtung, Verse von provozierender Lässigkeit, die – unterstützt von einem perfekt eingesetzten Reim – an die Lakonie von Songs erinnern. In einem zur gleichen Zeit entstandenen Gedicht preist er die „unangenehme Kraft der Gleichgültigkeit“ und das „Glücksgefühl der Teilnahmslosen“.
Michael Buselmeier (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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