WOLF WONDRATSCHEK
Endstation
Ich stand an der Bushaltestelle
und wartete;
und als der Bus kam, stieg ich ein
und wartete wieder.
Vor mir kümmerte sich ein Mädchen um ihren Kerl
und weil ich nichts zu tun hatte, schaute ich zu
wie sie an seinem Hals hing und manchmal nach hinten
schaute zu mir, der nach vorne schaute zu ihr.
Ich stand im Bus,
schaukelte mit den Beinen die Straße aus
und dachte an gar nichts;
irgendwann stieg ich aus, ging nachhause
und dachte
„Es gibt nichts, was einen Mann einsamer macht
als das leise Lachen am Ohr eines andern.“
1976
aus: Wolf Wondratschek: Gedichte / Lieder, Verlag Zweitausendeins. Frankfurt a.M. 2003
Als lyrischer Prophet männlicher Einsamkeit und als Heros ewig juveniler Vitalität hatte der 1943 geborene Wolf Wondratschek enormen Erfolg. Seine Gedichte kommen als unwiderlegbare Expertisen über die ewig gleichen Geschlechterverhältnisse daher. In den 1970er Jahren war Wondratschek der bestverkaufte lyrische Markenartikel der Subkultur, ein Garant für literarische Provokationen schon deshalb, weil er als lonesome Cowboy männlicher Sehnsucht über die ziellosen Erektionen seiner lyrischen Helden schrieb.
Das Gedicht, das Wondratscheks 1976 erschienenen Gedichtband Das leise Lachen am Ohr eines andern den Titel gab, repartiert in lässig-prosanaher Sprache das riskante Spiel des erotischen Begehrens, das die nur scheinbar unverbrüchliche Beziehung zweier Liebender überschreitet. Die Alltagsszene im Bus zeigt, dass in das Liebesspiel immer ein Dritter einbrechen kann: als Beobachter oder auch als Akteur. In diesem Fall bleibt es beim melancholisch-passiven Selbstgenuss des Beobachters.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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