WOLF WONDRATSCHEK
Gedicht
Ich liebe
und habe eine Freude
und eine Angst,
daß du Liebe verlangst.
1974
aus: Wolf Wondratschek: Gedichte / Lieder. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt a.M. 2003
Knapper und treffender kann man die emotionalen Ambivalenzen, Unwägbarkeiten und Begrenzungen des Liebesverlangens wohl kaum benennen als in Wolf Wondratscheks lyrischer Miniatur. Das Liebesgefühl setzt sich hier absolut, weist aber alle Forderungen nach Verlässlichkeit und Dauer ab. Solchen schlichten Preziosen verdankte der 1943 geborene Dichter seine Popularität in den 1970er Jahren. Der einsame Außenseiter, der von ewiger Sehnsucht verzehrt und auf lange Wanderschaften und Irrfahrten getrieben wird – das war das plakativ inszenierte Selbstbild des Dichters, der seine Helden auf die „Straße nach Süden“ schickte.
Und doch, bei aller demonstrativen Einfachheit, verfehlt das kleine Gedicht seine Wirkung nicht. 1974, beim Erscheinen der Erstausgabe von Chucks Zimmer, gehörte dieser kleine suggestive Text zu den meistzitierten Gedichten des Bandes. Die Einsamkeit der Männer – das blieb eine Konstante bei Wondratschek – ist durch keine Liebeserfahrung aufzuheben.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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