Wolfgang Amadeus Mozarts Gedicht „Du wirst im Ehstand viel erfahren…“

WOLFGANG AMADEUS MOZART

Du wirst im Ehstand viel erfahren
was dir ein halbes Rätsel war;
bald wirst du aus Erfahrung wissen,
wie Eva einst hat handeln müssen
dass sie hernach den kain gebar.
doch schwester, diese Ehstands Pflichten
wirst du vom Herzen gern verrichten,
denn glaube mir, sie sind nicht schwer;
doch Jede Sache hat zwo Seiten;
der Ehstand bringt zwar viele freuden,
allein auch kummer bringet er.
drum wenn den Mann dir finstre Minen,
die du nicht glaubest zu verdienen,
in seiner üblen Laune macht:
So denke, das ist Männergrille,
und sag: Herr, es gescheh dein wille
beitag – – und meiner bei der Nacht.

dein aufrichtiger bruder
W.A. Mozart

um 1780

 

Konnotation

Ich kann nicht poetisch schreiben, ich bin kein Dichter“ (1756–1791), klagt 1777 das musikalische Genie Wolfgang Amadeus Mozart gegenüber seinem Vater – und hat damit auf anmutigste Weise tiefgestapelt. Denn Mozart war auch eine eminente Begabung als Briefschreiber und lyrischer Sprachspieler. Er hat einige Meisterstücke witzig-graziöser Gelegenheitspoesie geschrieben, die exemplarisch für die Epoche des Rokoko sind.
Sein Hochzeitsgedicht für seine Schwester Nannerl begreift er als „Rat“ aus „meinem poetischen Hirnkasten“. Seine libertären Neigungen schmuggelt er auch in dieses Gedicht ein. Denn bei allem Respekt vor des „Ehstands Pflichten“, die er der Schwester anempfiehlt, ist doch in fast jeder Zeile ein ironisches Augenzwinkern zu registrieren. Zwar werden Pflicht und Frömmigkeit nicht ausgeschlossen aus dem von Mozart aufgerufenen Tugendkatalog, aber sie treten am Ende zurück hinter eine sehr individualistische Kategorie: den Hedonismus.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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