Wolfgang Bächlers Gedicht „Der Schatten“

WOLFGANG BÄCHLER

Der Schatten

Sie legte sich in den Schatten,
den ich warf.
So mußte ich stehen bleiben
und mich langsam um sie drehen,
um sie gehen
mit der Erde um die Sonne,
bis auch ich im Schatten stand.

1982

aus: Wolfgang Bächler: Wo die Wellenschrift endet. Ausgewählte Gedichte. Babel Verlag, Denklingen 2000

 

Konnotation

Ich bin“, hat Wolfgang Bächler (1925–2007) einmal geschrieben, „ein Sozialist ohne Parteibuch, ein Deutscher ohne Deutschland, ein Lyriker ohne viel Publikum… kurzum ein unbrauchbarer, unsolider, unordentlicher Mensch, der keine Termine einhalten und keine Examina durchhalten kann und Redakteure, Verleger und Frauen durch seine Unpünktlichkeit zur Verzweiflung bringt.“ Bächler, ein Mitbegründer der Gruppe 47, hat mit den Motiven seiner Gedichte für ästhetische wie politische Unruhe gesorgt – denn sie handelten von den Schrecken der nationalsozialistischen Vergangenheit.
Bächler, der lange Jahre unter schwersten Depressionen litt, beschäftigte sich nicht nur mit den Verheerungen deutscher Barbarei, sondern auch viel mit den Figurationen seiner Träume. Er schrieb „Traumprotokolle“ und – als letztes eigenständiges Gedichtbuch den Band Nachtleben (1982). In diesem Buch findet sich auch dieses irritierende Wechselspiel der Schatten: das Ich des Gedichts vollzieht eine Drehbewegung, die im Nachvollzug astronomischer Gesetze zum Du führt. Aber das Ziel ist der Schatten, nicht das Licht.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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