YAAK KARSUNKE
vom schnellen mann 2
was tut der schnelle mann?
er läuft so schnell er kann
sie sind ihm hinterher
drum rennt er kreuz & quer
ihm wird der atem knapp
bald fangen sie ihn ab
er merkt er kann nicht mehr
die beine werden schwer
dann holen sie ihn ein
ihm fehlt die luft zum schrein
sie geben ihm den rest
bis man ihn liegen läßt
mit blaugegerbtem fell
jetzt ist er nicht mehr schnell
1991/92
aus: Yaak Karsunke: Gespräch mit dem Stein. Rotbuch Verlag, Berlin 1992
Eine der größten unentdeckten Begabungen der DDR-Literatur war der aus Chemnitz stammende Lyriker Richard Leising (1934–1997). Den Auftakt zu seinem posthum erschienenen Lyrikband Gebrochen deutsch (1990) bildet das Poem „Vom schnellen Mann“, das lakonisch das Verschwinden eines gewissen „Karl Kahn“ erörtert. Leisings Berliner Dichterkollege Yaak Karsunke (geb. 1934), eins der agitatorischen Temperamente der westdeutschen Lyrik, hat 1991/92 eine Fortschreibung dieser Geschichte „vom schnellen Mann“ vorgelegt.
In Leisings Gedicht rätseln anonyme Stimmen über den Verbleib des verschwundenen „schnellen Mannes“, dem nur das „Fortgehen“ blieb – zu ergänzen wäre: das Fortgehen aus einem Land, das keine Heimat bieten konnte. Karsunke deutet die Geschichte um: Er erzählt die Geschichte einer (politischen) Verfolgung. Hier wird der „schnelle Mann“ von den Häschern eines Unrechtsystems zur Strecke gebracht.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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