YVAN GOLL
Nun kann ich nie mehr einsam sein noch arm:
Es wohnt der Schmerz in mir, der König Schmerz.
Schmerz ist der Freund, der mich besucht.
Schmerz ist der Fremde, der mich höhnt.
Schmerz ist mein Lachen, mein Gebet.
Schmerz ist mein Schritt. Schmerz ist mein Schlaf.
Ich esse Schmerz.
Ich rauche Schmerz.
Ich singe Schmerz.
Ich liebe Schmerz,
Den du mir gabst!
1930er Jahre
aus: Yvan und Claire Goll: Ich liege mit deinen Träumen. Liebesgedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2009
Sie fühlten sich als Romeo und Julia, Tristan und Isolde, Orpheus und Eurydike. In den großen Liebenden der Literatur spiegelten sich für Claire (1890–1977) und Yvan Goll (1891–1950) die eigenen Gefühle: Hoffnung, Schmerz, Erfüllung. Mit der Übersiedelung nach Paris begann für beide eine Zeit intensiver Produktivität, die der Liebe in unzähligen Briefen und Gedichten Ausdruck zu geben suchte. Parallel unterhielten sie andere Liebesbeziehungen, Claire etwa mit Rilke, Yvan mit der Lyrikerin Paula Ludwig.
In Gedichtbänden durchweben die Stimmen Claires und Yvans einander. Nicht immer ist klar, wem welcher Text zugehört. Dieses radikal negative Liebesgedicht wird Yvan Goll zugeschrieben. Sein Verfasser behauptet, „nie mehr einsam“ zu sein, weil der Schmerz fortan sein Begleiter ist. Der „König Schmerz“ ist allgegenwärtig, er ist an die Stelle der Geliebten getreten. „Ich liebe Schmerz, / den du mir gabst!“, heißt es in unbedingtem jambischem Tonfall masochistisch.
Michael Buselmeier (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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