DECKNAME
habe straßenkarten auswendig gelernt
und verschlungene wege. meine haut
spannt weiß, wie vom kalksand gefärbt.
unter den fingernägeln brechen schachtelhalmknospen
auf als wegweiser. worte surren im hautzelt,
das mich bedeckt als täuschungsmaske.
ich schlage die trommeln und lasse leuchtraketen
steigen, die gefährlich aufflammen in meinen
augen. ein lufthauch könnte mir den schutzschirm
vom körper reißen. noch weht er nicht,
noch glaubt man mich zu erkennen.
wenn mein name genannt wird, soll ein
weißes tuch in der landschaft sein. ich war da.
haben etwas zu erzählen. Sie sprechen mit faszinierender Eindringlichkeit von Fremdsein und Nachhausekommen, von weiten Landschaften und engen Behausungen, von Menschen, die unterwegs sind: auf der Suche nach dem, was ihr Leben ausmachen könnte. Das kann der Andere sein, der Nächste, die Gemeinschaft, das kann die Einsamkeit oder das Gedicht selbst sein, für das eine Sprache gefunden werden muss.
Tiefe Emotionalität stellt sich her, gerade weil sie nicht beschworen wird.
Wallstein Verlag, Klappentext, 2014
Heimat, Welt und Sprache: Gedichtband von Maja Haderlap
In Klagenfurt, wo sie 2011 den Bachmann-Preis gewonnen hatte, war Maja Haderlap heuer erneut präsent: In ihrer Eröffnungsrede der 38. Tage der deutschsprachigen Literatur hat sich die Kärntner Slowenin vor allem mit Fragen von Identität, Herkunft und Sprache beschäftigt, mit Migration und Sprachwechsel. Auch in ihrem neuen Gedichtband langer transit sind dies die bestimmenden Themen.
„Die Sprache ist für mich das ständig Unerreichte, Herbeigesehnte, ein Sehnsuchtsort, eine Bühne der Wirklichkeit und ihr Spielleiter“, betonte Haderlap kürzlich in ihrer „Klagenfurter Rede zur Literatur“.
Meine Grunderfahrung im Hinblick auf Sprache ist, dass sich immer wieder vermeintliche Sprachbesitzer, Sprachwahrer, Platzanweiser und Platzverweiser zwischen mich und meine Sprachen zu drängen versuchten. Sie taten, als sei ihnen ihre Sprache aus heiterem Himmel, wie gottgewollt zugefallen, ohne Rücksicht darauf, ob sie mit ihr umgehen konnten oder nicht.
Dass sie selbst mit ihr umgehen kann, stellt Haderlap in langer transit eindrucksvoll unter Beweis. Ihre Gedichte sind Verdichtungen ihrer Erfahrungen, ein Konzentrat dessen, was sie bewegt, ohne eine Spur von Kunstbehauptung oder Kalkül. Ihre Probleme sind nicht Versmaß, Endreim und Silbenzahl, sondern der adäquate Ausdruck für Erinnerungen und Erfahrungen, die sich zu einem Leben zusammensetzen.
Heimatliebe wird hier ohne Heimattümelei zu Papier gebracht. Haderlap kann kitschfrei einen Sommertag über dem Jaunfeld besingen, beschäftigt sich in einem kleinen Zyklus mit der Geschichte von „karantanien“, ist aber ebenso in Piran, Triest und Venedig zu Hause. Grenzen werden von den Mächtigen gezogen:
ihre grenzlinien knüpften einen strang
aus fallstricken und übertretungen
Mit Sprache lassen sich diese Grenzen jedoch überwinden:
meine kleine sprache träumt sich
ein land, in dem sie wortnester baut
zum ausschwärmen über die grenzen,
die nicht ihre eigenen sind
Haderlap redet jedoch nicht der Idylle das Wort. Wie schon in ihrem Roman Engel des Vergessens macht sie deutlich, dass sich das sprachliche Behaupten vom politischen nicht trennen lässt, dass es Beharrlichkeit und Mut voraussetzt, und dass oft trotz aller Friedfertigkeit ohne Kampfbereitschaft nichts erreicht werden kann. „hinter höflichen sätzen / verbirgt sich mein distelkopf, / getarnt bis zur unkenntlichkeit, / widerborstig bis zur unnahbarkeit“, heißt es etwa in „reden mit disteln“:
meine sätze haben haken,
die dir grob in die ohren fahren
Haderlaps Gedichte sind politisch, ohne pathetisch zu werden. Und sie sind poetisch, ohne künstlich zu wirken. Keine kleine Leistung. Große Empfehlung.
– Aus dem Slowenischen ist die österreichische Autorin Maja Haderlap ins Deutsche gewechselt – jetzt kehrt sie in dem Gedichtband langer transit in die Sprachwelt ihrer Kindheit zurück. –
Es ist bald dreißig Jahre her, dass von zwei jungen slowenischen Dichterinnen aus Kärnten erste Gedichte in verschiedenen Literaturzeitschriften zu lesen waren. Beide stammten sie aus der Gemeinde Eisenkappel, slowenisch: Zelezna kapla, die 1961 geborene Maja Haderlap und die um fünf Jahre jüngere Cvetka Lipus. Der Ort liegt in den Karawanken, nahe der damaligen österreichisch-jugoslawischen Staatsgrenze, und er galt im Zweiten Weltkrieg als Hort des Widerstands gegen die Nationalsozialisten; noch wenige Tage vor Kriegsende verübten Sondereinheiten der Polizei Massaker unter der Bevölkerung, die im Verdacht stand, verstockt auf ihrem Slowenentum zu beharren und die Partisanen zu unterstützen. In diesem nationalen Grenzgebiet wurde der Kampf um die deutsche Vorherrschaft immer auch als Kampf gegen die slowenische Sprache selbst geführt, die aus dem öffentlichen Raum verbannt werden sollte.
Beide Autorinnen, Studentin die eine, Gymnasiastin noch die andere, schrieben damals auf Slowenisch, später gaben sie zusammen mit Fabjan Hafner Mladje heraus, die wichtigste und bald schon einzige österreichische Kulturzeitschrift in slowenischer Sprache. Cvetka Lipus blieb bei der slowenischen Sprache, ihre Lyrikbände erscheinen inzwischen in Ljubljana, obwohl die Autorin nach Aufenthalten in den Vereinigten Staaten heute in Salzburg lebt.
Maja Haderlap veröffentlichte ihre ersten Gedichte auf Slowenisch, später schrieb sie auf Slowenisch und Deutsch. Mit ihrem Roman Engel des Vergessens, der 2011, als sie damit den Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt gewann, ein unerwarteter Erfolg im gesamten deutschen Sprachraum wurde, scheint sie den Sprachwechsel endgültig vollzogen zu haben; auch ihren neuen Gedichtband, langer transit, eine schmale, konzentrierte Sammlung mit wundersam poetischen Gedichten hat sie in ihrer zweiten, der deutschen Sprache verfasst.
Der Sprachverlust, der Sprachwechsel, das Leben zwischen zwei Sprachen – beiden zuzugehören, war in Kärnten lange Zeit geradezu verpönt –, sind die zentralen Themen dieses Bandes. „Haus der alten Sprache“ ist ein Gedicht überschrieben, das vom Auszug aus der einen, der alten Sprache handelt. „Handelt“ ist das richtige Wort, denn Haderlap schreibt erzählende Gedichte; Lyrik meint in ihrem Falle nicht Schreiben in gebundener Sprache, in Vers- und Strophenformen, oder eine besondere Rhythmisierung des Sprechens, sondern bildhafte Verdichtung, assoziative Verknüpfung beschreibender, beschwörender, diskursiver Passagen von einem Wort zum anderen.
Die alte Sprache ist das Slowenische der Mutter, der Großeltern und damit sowohl die Sprache der eigenen Kindheit, also der Mythen, Märchen, ersten Gewissheiten, als auch die Sprache des Widerstands, die verfolgte, missachtete, abgewiesene Sprache. Schönheit und Würde dieser Sprache wurzeln für die Autorin in dieser Doppeltheit von Magie und Widerstand; dennoch bleibt sie bei der Beschwörung der alten Sprache nicht stehen, benennt vielmehr auch das Gefühl der langsamen Entfernung, Entfremdung von ihr:
die sprache
fesselte mich an die welt, indessen sie
sättigte nicht. biss ich sie durch, kostete
ich ihre wüstung.
In einem anderen erzählenden Gedicht betritt die Dichterin nach vielen Jahren offenbar wieder den Dachboden im heimatlichen Haus:
an diesem ort tritt auch die sprache zu mir
als vertraute, die um jedes geheimnis weiß.
Die verlorenen Dinge der Kindheit werden wieder gegenwärtig, aber nur dank und in der alten Sprache. Gleichwohl ist deren Anrufung prekär, scheint sie doch nur tauglich, die verlorene Welt zu bannen, nicht eine neue zu entwerfen:
verwahre mich, sprache,
schließ mich ab gegen die zeit.
In dem titelgebenden Gedicht des Bandes heißt es folglich:
Am ufer des neulands wirst du deine
muttersprache ablegen.
Gerade davon künden die schönen Gedichte dieses Bandes, vom Verlust, den jeder, den selbst der notwendige Aufbruch bedeutet, und vom unmerklichen Fortwirken dessen, was wir für abgetan, für verloren, längst überwunden halten.
Karl-Markus Gauss, Süddeutsche Zeitung, 13./14.9.2014
Die österreichische Schriftstellerin Maja Haderlap (geb. 1961) arbeitete nach ihrer Promotion als Dramaturgin und Universitätslektorin und war Lehrbeauftragte am Institut für Vergleichende Literaturwissenschaften in Klagenfurt. Seit 1992 ist sie Leitende Dramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. Außerdem war sie langjährige Mitherausgeberin und Redakteurin der kärntner-slowenischen Literaturzeitschrift Mladje.
Maja Haderlap veröffentlichte auf Slowenisch und Deutsch Gedichte und Essays. Ihr Romandebüt Engel des Vergessens (ebenfalls im Wallstein Verlag erschienen) wurde 2011 u.a. mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Nun ein erster Lyrikband in einem deutschen Verlag.
Die beherrschenden Themen in langer transit sind Ursprung, Herkunft und Identität in dem Vielländereck Österreich-Slowenien-Italien. Da finden sich Gedichttitel wie „karstweide bei col“, „lagune bei grado“ oder „venezia“ und in „grenzländer“ heißt es: „ihre grenzlinien knüpften einen strang aus fallstricken und übertretungen… alles ist rand und vergessen und übergang“. Ein Teil der Gedichte trägt sogar den Untertitel „karantanien“ – frühmittelalterliches Gebiet von Kärnten/Slowenien, in dessen Landschaft und Geschichte Haderlap immer wieder eintaucht, z.B. „ein sommertag über dem Jaunfeld“ oder „könig matjaz besucht sein Dorf“.
Die Prosagedichte sind Brücken zwischen unterschiedlichen Welten und spiegeln die persönlichen Grenzerfahrungen authentisch wider. Die Zeilen wirken mitunter kantig zwischen dem Fremden und dem Eigenen, sie öffnen sich manchmal erst beim zweiten Lesen. Unter „haus der liebe“ und „das unsichtbare Mädchen“ versammelt der Band auch einige sehr persönliche Gedichte der Autorin. Doch liest man die Gedichte genauer, erkennt man auch hier die Übergänge von Persönlichem ins Gesellschaftliche.
Haderlaps Gedichte sind dabei nicht aufdringlich, sie tasten sich an das Thema heran und nehmen den Leser doch gefangen. Am Ende der Lektüre ist er um eine Erfahrung reicher geworden.
Herbert Fuchs: Grenzland
literaturkritik, 21.8.2014
Walter Pobaschnig: „langer transit“ Maja Haderlap. Gedichte. Wallstein Verlag
literaturoutdoors.com
Veronika Thiel im Gespräch mit Maja Haderlap – Schreiben im Zwischenraum
Maja Haderlap im Gespräch mit Günter Kaindlstorfer über die Entstehung von Gedichten und den Wert von Bibliotheken.
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