– Zu Manfred Enzenspergers Gedicht „kleines limeslied“ aus Manfred Enzensperger: Semiopolis. –
MANFRED ENZENSPERGER
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Es geht in Gedicht und Bild um Grundkarten, Standlinien,
große und kleine gemeinsame Nenner,
die Verlegung des Nullpunkts, Fallwinkel, Sternwarten,
kopflose Koordinaten.
Um Strecken und Strahlensätze, Punktspiegelungen,
Doppelherzaufschläge, Stellungs- und Gräberlatein,
benachbarte Meridiane.
Das Bild als Anlaß des Gedichts ein bloß eingebildetes,
im Herbst 2000 in Köln gesehenes und 2003 in Madrid
wiederentdecktes fotografiertes.
Das Gedicht ein im Sommer 2002 entstandenes.
Der Abstand zwischen Gedicht und Bild durchwirkt von
Spuren des Still- und Anhaltens, des Denkens, Sehens,
Hörens und Fühlens: Erinnerungen an Erinnerungen,
Verschiebung, Sublimierung, Projektion, ein aleatorisches
Schwirren und Sirren, das von etwas spricht,
von dem es selbst nichts weiß.
In diesem Ge-triebe kommt zur Wirkung, was das Gedicht in
seiner Entstehung bewegt: das Verfließen von Figuren,
die sich in anderen Figuren fortsetzen, die Umkehrungen und
Übergänge, das Hin und Her seiner Anproben und Auftritte
und schließlich das vorläufige Stabil-Werden einer Gestalt.
Dieses poetologische Über-sich-selbst-hinaus-Sein ist in
Gedicht und Bild im Motiv der Doppelung / Ent-grenzung
enthalten: kleiner himmel – das auf den Weg gebrachte
Zwischenganze, das sich als Um-bruch ins Bild setzt.
Was immer der Leucht- und Schwebe-Stoff ist, aus dem
Gedichte gemacht sind, es gibt eine Beziehung
zwischen Gedicht und Material: Es ist die der Nabelschnur.
Aus Manfred Enzensperger (Hrsg.): Die Hölderlin Ameisen, DuMont, 2005
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