54
MIT unserer Rückkehr von der
aufregenden Reuse hate ich
Angst, dass Mir das per diem
fur den Tag meiner
Abwesenheit gestrichen
werden könnte. Das hätte
einen Abzug von 30 Dollar
bedeutet. Aber ich glaube, see
hat niemand bemerken
swollen. Am Ende eine
Inszenierung der CIA?
hätte mich zwischen dem 20.8. und dem 02.11.2016 telefonisch erreichen können, wer im Bilde gewesen wäre, dass ich das Angebot angenommen hatte, für diesen Zeitraum in der 430 North Clinton Street, Iowa City, IA 52242 (USA) offiziell die deutsche Literatur zu repräsentieren. Mein sehr preiswertes amerikanisches Mobiltelefon blieb allerdings ungenutzt, bis ich entdeckte, dass sich die Lernkurve seiner rustikalen Korrekturfunktion mit meiner Fehlbarkeit sowohl als nationale Repräsentantin wie auch als Akademikerin Amerikanerin auf Zeit aufschlussreich engführen ließ. Ich fing an, Überlegungen zu notieren, in denen meine teilweise verzweifelte Situation in dilettantischer Manier zu reflektieren ich mich nicht schämen musste, da das Gerät mich um immer noch eine Peinlichkeit oder Dummheit übertraf. Es lernte meine Sprache sehr behäbig, zwar, aber nicht gar nicht. Beispielsweise wurden viele Präpositionen bis zum Schluss hartnäckig und auf immer gleiche Weise amerikanisiert, während kompliziertere Konstruktionen, Komposita etwa oder ausgeschriebene Zahlen, entweder nach unklar variierenden Mustern bis zur Unkenntlichkeit in amerikanische Einheiten atomisiert, oder, falls nicht fraglos einfach abgebildet, nach und nach tatsächlich in den Wortschatz eingegliedert wurden. Die Entscheidungen meines Handys sind insofern ungefiltert, als dass ich meinen Schreibvorgang konsequent nicht durch Wortvorschläge abkürzte, sondern das deutsch Gemeinte jeweils neu eintippte und die automatische Korrekturfunktion jeweils neu auf es zugreifen ließ. So entstand auch der Text, den ich nicht vorformulierte, sondern im Tippen und im Reagieren weiterentwickelte. Seine Gedichtförmigkeit ist der durch das billige Modell noch begrenzten Zeichenanzahl geschuldet. Die Zeilenlängen, sowie ihre Zusammenfassung in Dreizeiler, bildet die Darstellung der einzelnen Nachrichten im gesendeten Zustand ab. (Ich schreibe dieses Vorwort zu einem warmen Frühstücksbossanova des YouTube Channels „The Best Acoustic Love Covers of Popular Songs – Only For You #vol 1“ im strandleeren Café COAST des BAYSIDE Hotels in 23683 Scharbeutz. Neben dem derzeit geschlossenen Café Wichtig das einzige mit WLAN in dieser, um internationale Relevanz nur mäßig bemühten, trüben deutschen Entsprechung.)
Mara Genschel, Vorwort
– Die in Stuttgart lebende Lyrikerin Mara Genschel will den Literaturbetrieb unterlaufen. Ob ihr Cute Gedanken dabei helfen?. –
Von einem deutschen Altbundeskanzler wird die Juso-Anekdote kolportiert, er habe nächtens trunkenen Hauptes am Zaun des Kanzleramts gerüttelt und gerufen:
Ich will da rein.
Nun sind der Literaturbetrieb und seine prosaischen Verhältnisse nur bedingt mit bundesrepublikanischen Machtstrukturen kurzzuschließen, doch verkörpert die in Stuttgart lebende Lyrikerin Mara Genschel (geboren 1982) zumindest bezüglich der eingenommenen Haltung eine kühle Antithese, sowohl was das Ziel als auch die Verfahrensweisen ihrer poetischen Tuns anbelangt.
Dabei muss sie eine paradoxale Spannung aushalten, welche sich dann im Kern als eminent politisch erweist. Denn wie jene Spielregeln kritisch durchleuchten, welche der literarischen Produktions- und Vermarktungslogik zugrunde liegen, wenn diese zugleich den Ort der öffentlichen Wahrnehmung und in der Folge literarischer und ökonomischer Erfolge bestimmen? Ein Leiden, das so alt ist wie die engagierte Literatur und ihren Bedingungen geradezu fundamental eingeschrieben.
Mara Genschel versucht es mit feiner Anarchie und Analyse: Sie befragt die ambivalente und wirtschaftlich oft prekäre Stellung des Dichters in der Gesellschaft, indem sie sich performativ ebenso zum wie subversiv gegen den Literaturbetrieb (dessen Teil sie ist) positioniert, Klanginstallationen konzipiert oder ihre Texte in kleinen „Referenzflächen“-Editionen selbst gestaltet und verlegt. Nicht immer widerspruchsfrei lassen sich dabei die Konflikte zwischen Distanz und Teilnahme, Eigen- und Fremdbestimmung, Freiheit und Abhängigkeit, richtig und falsch lösen. Aber sie vermögen auf dem Niveau „Höherer Vasen / gröbere Frasen“ nachhaltig zu irritieren. Wofür ihr jüngst der Heimrad-Bäcker-Förderpreis verliehen wurde.
Ihr neuer Gedichtband Cute Gedanken, eine der Lyrik-Empfehlungen 2017 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, entstand während eines Literaturstipendiums in Iowa. Dort wird ein „sehr preiswertes Mobiltelefon“ mediales Gerät und Textmaschinchen zugleich, nachdem Genschel erkannt hat, dass sich konzeptionell äußerst fruchtbar die „Lernkurve seiner rustikalen Korrekturfunktion mit meiner Fehlbarkeit sowohl als nationale Repräsentantin wie auch als Akademikerin [gestrichen] Amerikanerin auf Zeit aufschlussreich engführen ließ.“
Solche Vorworte kommen theoretischer daher, als es die experimentell anmutenden, bisweilen irrwitzig changierenden, die Sprache an die Verstehensränder treibenden Gedichte tatsächlich sind. Wer schreibt da was mit? „Al’s“, der „CIA“, „Ich Schreiber“? Wessen Sprache wird de-formiert? „13 // Wie haven die Autoren I and / rinnen aus sound so vielen/ Ländern such nämlich gestaut!“ Offenbart so der Un-Sinn einer Algorithmen-Ästhetik zugleich die Grenzen auktorialer Autonomie? „30 // Ich bin doch nur ein Susan / men hang loser Zombie, / sobald ich meine gewohnten // Biotope verlass!“ Und öffnet sich spielerisch heiter ein Fenster ins Absurde, wo das Recht auf Rechtschreibung sich selbst hintertreibt?:
(…) MIT
deinem unumstößlichen Be is
tell to sch chen und seinen
dutch de Fensterfronten
gespülten goldenen Woven
der Zuversicht in ihr
wohlfrisiertes shampooniertes
Haar murmelnd
Doch auch nach über hundert Jahren Avantgarde und zweihundert Jahre nach Hölderlin gilt der letzte (hoffnungsvolle? verzweifelte?) Anruf der „Km unst“: „Du machst das ich / ACH di see, die Poesie ist gut // und recht ,ACH bitter Liebe“ „75 // Mama! Lass Mich wieder nach / Hauser!‘“ Wo kommen wir Ver-Leser mit soviel „Peinlichkeit und Dummheit“ nicht überall hin!
Drittens. Dissidenz. Oder richtig falsch schreiben: Mara Genschel kenne ich nur, weil ich mit jeder Lyrik-Szene fremdle und sie vor Jahren mal mit einem befreundeten Professor zum Fußballgucken kam, wo sie dann eher null Interesse am Spiel hatte und uns lieber semi-obszöne Gedichte erzählte. In der schönen Reihe roughbooks ist jetzt ihr Band cute gedanken erschienen, bereits auf dem groß gedruckten Cover kehrt sie die Beweislast für die Entstehung ihres Buches einfach um und schiebt sie schön in Times New Roman dem Leser in die Schuhe: „Unter +1 319 930 6339 hätte mich zwischen dem 20.08. und dem 02.11.2016 telefonisch erreichen können, wer im Bilde gewesen wäre, dass ich das Angebot angenommen hatte, für diesen Zeitraum in der 430 North Clinton Street, Iowa City, IA 52242 (USA) offiziell die deutsche Literatur zu repräsentieren.“
Denn wer wäre schon im Bilde? Und das geht sofort großartig nach hinten los: In ihr amerikanisches Mobiltelefon tippt sie 75 Tage lang jeweils ein Mini-Gedicht über das Scheitern des Kulturbetriebs als CIA-geförderte Völker-Selbstverständigung, die fehlerhaften Autokorrekturvorgaben des Handys lässt sie einfach drin:
Am 2. Tag gingen viele con und
einkaufen und we’re wollte,
machte wine city tour MIT.
Ähnlich wie Liebert ist allerdings auch Genschel besser, wenn sie ihren Fehlerstolz überwindet und mit Mut für Amerika einfach den Mainstream beobachtet:
Die Studentinnen
kauerten mit fettigen oder
geduschten Haaren über ihren
facebook und drückten sich
Pickel aus während die
Vokabeln lernten.
Ein perfekter Preis für diese Art zu schreiben wäre eigentlich ein Ego so groß wie Taylor Swift.
Patrich Wilden: diner von such
fixpoetry.com, 8.3.2017
Monika Rinck: Lyrik-Empfehlung 2017
lyrik-empfehlungen.de, 21.3.2017
Monika Rinck: „Cute Gedanken“ von Mara Genschel
piqd.de, 30.3.2017
Benjamin Quaderer: Mara Genschels Handy
The Daily Frown, 25.4.2017
Konstantin Ames: Mara Genschels verwaiste Poesie
signaturen-magazin.de
„Lyrik Lesen – Gedichte im Gespräch“ mit Jan Bürger, Gregor Dotzauer und Insa Wilke; Moderation Barbara Wahlster am 12.7.2017 im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Aus der besprochenen Neuerscheinung liest Birgitta Assheuer.
Das Gedicht in seinem Jahrzehnt. Mit Konstantin Ames und Mara Genschel am 27.2.2023 im Haus für Poesie, Berlin moderiert von Gregor Dotzauer.
Gedichte wurden vorgestellt von Renate Rasp (05:03), Liesl Ujvary (25:10), Diane diPrima (36:10), Jean Daive (52:30), Ruth Wolf-Rehfeldt (1:06:45), Kathrin Schmidt (1:20:34), Amanda Stewart (1:28:20), Ronald M. Schernikau (1:38:08), Barbara Köhler (1:46:20), Ulf Stolterfoht (1:54:00), Hannah Weiner (2:03:55), Gellu Naum (2:17:30), Anja Utler (2:27:10), Crauss. (2:39:05), M. NourbeSe Philip (2:50:30), Sean Bonney (3:02:15) // Bonusmaterial: Mara Genschel (3:14:10), Elías Knörr (3:17:15), Konstantin Ames (3:19:34)
Schreibe einen Kommentar