– Nach Georg Trakls Gedicht „An die Verstummten“. –
GEORG TRAKL
An die Verstummten
O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend
An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren,
Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut;
Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt.
O, das versunkene Läuten der Abendglocken.
Hure, die in eisigen Schauern ein totes Kindlein gebärt.
Rasend peitscht Gottes Zorn die Stirne des Besessenen,
Purpurne Seuche, Hunger, der grüne Augen zerbricht.
O, das gräßliche Lachen des Golds.
Aber stille blutet in dunkler Höhle stummere Menschheit,
Fügt aus harten Metallen das erlösende Haupt.
I
So der Wahnsinn Abbottabad, da sich alles
an schwarzem Material überlagert: Asche
von Türmen, nordpakistanische Nacht und auch
dieser alte, auf hoher See bestattete Zottelbart.
Großes Bunkergefühl heute. Samt Magengrollen.
Ungefilmt bleibt der Nebenraum, wo man ein totes Kind verhört.
RASEND PEITSCHT GOTTES ZORN den Heli übers Anwesen,
Stroboleuchten ertasten zwei braune Augen, mehr nicht.
Kohl, Kartoffeln und Haschisch im Hof.
Dann gibt es nur noch eins. Blut. Man hört die vermummten Menschen,
Flüche, RAUS, WARTE, Metall, das Getöse. Kein Laut.
II
Oder was, Slim Shady vom Waagplatz, schaust du da,
als Bartloser, aufgehübscht unterm Frotteeturban,
an deinem Billig-TV, Slim Shady IM TRAUM?
Bist mir magischer Bruder. Weißt eisern zu schweigen.Wart ab,
so wirst du dunklere Beute. Bleib unerschrocken.
(Du sollst den Raum niemals sehn: Dort hat man ein totes Kind verhört.)
Rasend peitscht (keine Geiseln) Gottes Zorn (und kein Purpur)
des Besessenen (kein Heavy Metal) Stirne (kein Licht).
Du hast nur ein Tütchen AURORA,
ein Tütchen SARIN, und deinen fiebrigen Blick auf manchmal
rosenfarbene Moscheen, nervösere Haut.
Marcel Beyer, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014
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