Margarete Hannsmann: Rauch von wechselnden Feuern / Günter Herburger: Der Fels der Lorelei

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Margarete Hannsmann: Rauch von wechselnden Feuern / Günter Herburger: Der Fels der Lorelei

Hannsmann-Rauch von wechselnden Feuern – Herburger-Der Fels der Lorelei

FRAGMENTE ZUM RADIKALENERLASS

Wars nicht vom Besten als man jung war Schulter an
aaaaaSchulter
untergehakt und in breiten Reihen vorwärts voran
lachend schreiend gegen die Hindernisse winkend
aaaaaoder mit Blumen
vielerlei Transparenten Fahnen
was für Farben an was für Stöcke gebunden
für was für Namen Vietnam Amnesty
aaaaaNotstandsgesetze
Chile Portugal Griechenland
oder im Kneipendunst mit Köpfen voll Hitze und Fäusten
hungrig nach Kommunikation
Argumenten
in den Gemeinschaften wohnend schlafend
mit denen die wie man selbst
warteten bis man erwachsen sein würde
voller Angst vor dem Wort Integration
sich anpassen zu müssen wo man nicht hinpaßt
nicht mehr ausbrechen können

Jetzt also war das nicht Jugend gewesen
wie sich die Väter als möglicher Marquis Posa
Woyzeck Karl Moor oder Prinz von Homburg gebärdeten
sondern Subversion
Danton persönlich
und wie das endet lernt man auf jeder Penne

wars das? war es das wirklich? alles?
oder wars mehr? wars doch mehr?

„Sicher weiß man Ihre Dynamik zu schätzen
Angepaßte bringen keine Innovationen
sicher sind Sie stärker leistungsorientiert als
die bequemen Studenten“
aber wir müssen uns davon überzeugen
daß Ihr Verhalten die Gewähr bietet
daß Sie sich „jederzeit für die freiheitliche
demokratische Grundordnung im Sinne des Grund-
gesetzes“
einsetzen
haben Sie demonstriert?
haben Sie sich engagiert?
in einer Gruppe?
Kommission?
in der Studentischen Selbstverwaltung?
Listen aufgelegt?
Unterschriften gesammelt?
an Aktionen teilgenommen?
„Ein falsches Nein bietet später zusätzliche
Handhabe gegen Sie wenn Sie als radikal entlarvt sind“
halfen Sie Kinderspielplätze bauen?
Gastarbeiter aufzuwiegeln?
haben Sie Wohnungsbesetzungen mitgemacht?
gaben Sie Ihren Namen für Bäume?
Vögel? Fische? Sumpfdotterblumen?
für reines Wasser? für reine Luft?
„Zur Abwehr akademischer Systemveränderer
haben die Personalbüros
großer Firmen inzwischen Prüfungskriterien entwickelt
mit denen der politische Hintergrund
der Bewerber ausgeleuchtet werden soll“
kennen Sie Wyhl?
und KKW?
was halten Sie von Verflechtungen?
„Beim Einstellungsgespräch wird der Bewerber
befragt über den Sinn des Unternehmerprofits
oder die Stellung des Unternehmens in der Gesellschaft“
wenn Sie dafür sind daß in Chile
jedes Kind seine Milch erhält
wird Ihr eigenes Kind keine Milch haben
wenn Sie behaupten in sechzig Ländern
würde gefoltert um von politischen
Häftlingen Geständnisse zu erpressen
haben Sie sich disqualifiziert
Amnesty bedeutet Täter wieder in Tätigkeit zu setzen
Solidarität ist ein Reizwort
„Absolventen ,roter‘ Unis
(Heidelberg gehört nicht mehr dazu)
müssen einen besonderen Glaubwürdigkeits-
nachweis erbringen
und haben sehr viel geringere Chancen
eine attraktive Eingangsposition zu bekommen“
wie stehn Sie zu den Minderheiten?
wie stehen Sie zur Dritten Welt?
Kriegsdienst?
Ersatzdienst?
Entwicklungshilfe?
kennen Sie Barriadas Bidonvilles Favelas Slums?
„Intakte Universitäten sind
Köln München Münster“
was halten Sie
vom langen Marsch der jungen Anwälte
Lehrer Ärzte Genossen Fachleute
„Die NOFU des Bundes Freiheit der Wissenschaft
bietet einen speziellen Informationsservice
zweimal jährlich Namenslisten“

Aber wußtet ihr denn nicht wohin das führen würde hey?
Aber meintet ihr das geht so ewig weiter?

Sie wissen genau: was sie euch jetzt zuteilen
(und die Kulturhoheit der Länder)
ist ihr Triumph
darauf warteten sie
endlich dürfen sie es euch heimzahlen
es ist nicht euer Problem
es ist ihres
als sie so alt waren wie ihr jetzt seid

Warum fragt ihr denn nicht eure Väter und ihre Brüder
warum laßt ihr sie die Köpfe abwenden
fragt sie doch die das für euch erfanden
dieses beste Grundgesetz
fragt seine Kanzler
Präsidenten
drei Jahrzehnte Ministerlisten
alle die es einsetzten absegneten
waren dabei
waren doch noch dabei
zu Lande zu Wasser und in der Luft
an der Front und an den Heimatschreibtischen
wilde Gesellen vom Sturmwind durchweht
hoch auf dem gelben Wagen

Laßt sie nicht die Köpfe abwenden
Spandauer Memoiren lesend

Ihr werdet es jetzt kennenlernen
heimlich geflüstert hinter der Hand
weitergegeben von Mund zu Mund
von Stockwerk zu Stockwerk
von Haus zu Haus
straßauf straßab
im Viertel
der Stadt:
DER DER DIE DIE

Wie viele
wurden in diesem sechsundzwanzigsten Jahr
des Grundgesetzes befragt
durchgekämmt?
vierhundert?
viertausend?
vierhunderttausend?
vier sind zuviel.

Um vier Menschen zu denunzieren
braucht es vier mal vier
da ist schon wieder ein Volk unterwegs
Hausleute Nachbarn Freunde Feinde
unversehens
und unterderhand
der Friseur der TanksteIlenwart
Menschen die nie den Menschen sahen
über den sie Auskunft erteilen
Erst das Hemd das ihr tragt
und euer Haar
dann wann ihr kommt und geht und mit wem
noch bevor der Hahn dreimal kräht
haben die das Brot mit euch brachen
euch schon verraten
fragt sie doch
fragt eure Väter was euch bevorsteht
fragt sie warum nach Auschwitz kein Gedicht möglich sei

Margarete Hannsmann

 

LIED

Ich bin der Mann, der immer leichter wird,
nicht weicher, Leute.
Ich bin der Mann, der immer besser sieht,
weil die Erfahrung wächst.
Ich bin der Mann, der keinen Stolz mehr hat,
je weniger er kriegt.
Ich bin der Mann, der immer rücksichtsloser wird,
aus Liebe und Verstand.
Ich bin der Mann, der seinen Standpunkt wechselt,
solange er noch lebt,
der immer deutlicher und lauter fordert, Leute,
daß er nicht trauern will,
daß er das Glück erhofft für sich und jeden
jetzt auf dieser Welt
und der es nicht versteht, daß viele nicht
so hemmungslos sich äußern,
damit wir schneller uns verständigen und auch
die Alten überrumpeln, die
noch heftiger behaupten, sie hätten Kraft gehabt
wie wir, obwohl sie
wissen, daß auch wir dann sterben werden, doch hoffentlich
nicht einsam so wie sie.
Ich bin der Mann, der sich noch wehrt, damit
aaaaaes nicht zu spät sein wird.
Ich bin der Mann, der sich oft irrt und der wie jeder
bis zuletzt begehrt.

Günter Herburger

 

 

 

Weil ich erst später mit Schreiben anfing

(Krieg, Nachkrieg, eine Familie ernähren standen dagegen), konnte ich nicht viel von dem übernehmen, was Schriftsteller meiner Jahrgänge an Stilen und Schulen herausgebildet hatten. Ich mußte allein finden, wie man’s macht, damit es angenommen werden kann und gleichzeitig unverwechselbar mich selbst enthält.
Warum ich schreibe.
Den Augenblick festhalten. Die Kette von Augenblicken, ihre Vergänglichkeit, ihre Herrlichkeiten, ihre Schrecken wiederherstellen. Manchmal lang an der Genauigkeit arbeiten: Wärme, Kälte, Geräusche, Gerüche, Farbe, Licht, Schatten, so jederzeit hervor-, zurück-, abrufbar machen, was es war, das man lebte, was es denn ist, das man lebt.
Die langen Gedichte haben eine andere Motivation. Mich plagt Geschichte. Buchenwald. Vietnam, Griechenland, Chile. Oder Wiederholungen der Geschichte: Radikalenerlasse, Berufsverbote. Oder Zukünftiges: Umweltzerstörung, Plutoniumindustrie. Es sind nicht die glücklichen Augenblicke, wenn ich mich engagieren muß. Es ist ein Kampf gegen Kriege, Unterdrückung, Ausbeutung, gegen Archetypen, Ungeheuer, die mich verletzen, denn ich bin nackt und waffenlos, weil ich sie nur mit Wörtern angehen kann.

Margarete Hannsmann, Aufbau Verlag, Klappentext, 1978

Gedichte zu schreiben,

ist Übermut und Mühe zugleich, als stünde man plötzlich voll wißbegierigen Schreckens auf einem gespannten Seil, dessen Beginn und Ende nicht auszumachen sind.
Aber die außer sich geratene Figur dort oben täuscht. Sie bleibt der Erdenschwere verhaftet, dem Verdruß, den kleinen Hoffnungen, dem berechtigten Verlangen, sich, um des Himmels willen, doch auch anlehnen zu dürfen an etwas, das groß und festgefügt zu sein scheint und zum Beispiel Geschichte heißt. Denn ihr können wir nicht entrinnen.
Ein Dichter versucht, das Öffentlichste wie Allergeheimste auszudrücken. Er will, wenn er es ernst mit seiner Arbeit meint, daß die Praxis unbedingt die Sehnsucht einholt, gleichsam der instinktsichere Käfer sich mit der bedingten Steuerelektronik von Raketen zu verbünden verstünde, damit die Gleichmütigkeit der Natur eins würde mit der anstrengenden Herrschaft der Technik.
Das klingt schwierig, stellt aber nichts anderes dar, als fortwährend unterwegs zu sein nach Freundschaft, Liebe und Zuversicht im Anblick des Todes, der uns allen gewiß ist, da bisher mehr die Versäumnisse unserer Geschichte zum Ausdruck gebracht wurden denn deren Möglichkeiten. Darin steckt ein notwendiges Maß an Utopie, ohne das ich nicht leben könnte.

Günter Herburger, Aufbau Verlag, Klappentext, 1978

 

 

Zum 100. Geburtstag der Autorin:

Manfred F. Kubiak: Warum die Heidenheimer Schriftstellerin in ihrer Heimatstadt nicht immer geliebt wurde
Heidenheimer Zeitung, 9.2.2021

Fakten und Vermutungen zur Autorin + IMDb + KLG +
Archiv

 

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Dietmar Dath: Schritt für Schrift
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.4.2012

Detlef Kuhlmann: Schriftsteller und Langstreckenläufer…
germanroadraces.de, 8.4.2012

Konstantin Ulmer: Der ewige Vagabund
der Freitag, 6.4.2012

Michael Buselmeier: Mein Brieffreund und ich
Der Tagesspiegel, 5.4.2012

Nachrufe auf Günter Herburger: PNN ✝︎ nd ✝︎ Zeit ✝︎ NZZ ✝︎ SD ✝︎ FAZ ✝︎
junge Welt ✝︎ schwäbische ✝︎ Sinn & Form ✝︎

 

 

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Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Hinundherburger“.

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