– Zu Georg Trakls Gedicht „Hohenburg“. –
GEORG TRAKL
Hohenburg
2. Fassung
Es ist niemand im Haus. Herbst in Zimmern;
Mondeshelle Sonate
Und das Erwachen am Saum des dämmernden Walds.
Immer denkst du das weiße Antlitz des Menschen
Ferne dem Getümmel der Zeit;
Über ein Träumendes neigt sich gerne grünes Gezweig,
Kreuz und Abend;
Umfängt den Tönenden mit purpurnen Armen sein Stern,
Der zu unbewohnten Fenstern hinaufsteigt.
Also zittert im Dunkel der Fremdling,
Da er leise die Lider über ein Menschliches aufhebt,
Das ferne ist; die Silberstimme des Windes im Hausflur.
Wenn sich jeder Verweis auf Menschliches in eine innere Zeit zurückzieht, dann bleibt der Sprache nur noch das Licht als Ort. Und das Licht wird notwendigerweise umgehend Verweigerung, die Brücken zum äußeren Sinn stürzen erst leise, dann mit verstörender Vehemenz ein. Dieses nachdrückliche Sich-Entziehen ist hier so tiefgründig leise, dass es unheimlich ist, die Worte sind unbehaust in sich selbst, sie haben nichts zu klären. In der Sprache wird das Schweigen wie eine Wand zwischen der greifbaren äußeren und der geahnten inneren Welt errichtet. Es entsteht ein inneres Flimmern, das „ein Träumendes“ vergessen lässt, wer es in der irdischen Welt ist, auf dem Papier, als Name kommt es nicht vor. Fast scheint es, dass es nicht einmal mehr das Denken gibt – wie sich also erinnern? Nur der Tönende hat Mut „mit purpurnen Armen“ seinen Stern zu umfangen. Das Schloss Hohenburg nahe Innsbruck, in dem Georg Trakl einige Male zu Gast war, verwandelt sich in einen supra-ätherischen Raum, der Außen und Innen soweit verbindet, dass sie sich „ferne dem Getümmel der Zeit“ gegenseitig aufheben. Aber was entsteht an ihrer Stelle? Es ist ein alles andere als zerbrechlicher, aber betörend unbeweisbarer Ort, der – obwohl er sich auflöst – im Gedicht und in mir an Gestalt gewinnt, bis wir eins werden, und das ist doppelt beunruhigend. Je weiter die Worte sich vorwagen, desto mehr verwandeln sie den Innenkern des Innenkerns. Die Tiefe des Begreifens wird nur in der sprachfernen (lichternden) Reise sichtbar, als ein Unterwegssein zur Quelle, in der etwas Neues entsteht (oder dazustößt – „als Silberstimme des Windes“). Mein eigenes L(ich)t stirbt freiwillig, besser gesagt, es wird ganz im Verschmelzen. Das Paradoxon lebt, weil sich alle Fragen aufheben und dennoch das Bestehende wie das Neue selbsttätig in mir erfragt wird. Wie kommt der Herbst in die Zimmer? Und wie ist sie im hellwach Träumenden entstanden, die „mondeshelle Sonate“? Der Urpunkt aber bleibt für mich das „weiße Antlitz des Menschen“, von dem aus die Wortplaneten und Satzstraßen Teil meiner Lunge, Teil meiner Luft und zum pulsierenden Energiezentrum dieses Gedichts werden. Doch auch wieder nur, um sich ein eigenes Element zu schaffen, zeitgleich ist es vollkommene Berührung mit dem Nichts und mit dem Ganzen.
Marica Bodrožić, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014
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