– Zu Franz Josef Czernins Gedicht „zwischen bögen, über felder“ aus Franz Josef Czernin: staub. gefäße. –
FRANZ JOSEF CZERNIN
zwischen bögen, über felder
zwischen bögen, über felder,
macht der ton die türen auf,
lacht die not die tiere drauf,
wie sie zögen in die wälder,
was wir biegen unter fehlern,
stöhnt, in rot, durch tore her,
dröhnt ins laub das blau so schwer,
wie wir liegen unter tälern,
In der Kindheit erfahren wir die Sprache zunächst als Klangreich. Lirum larum Löffelstiel. Ene mene ming mang. Sinn und Verstand vertreiben uns aus diesem Reich, doch glücklicherweise gelingt ihnen dies zeitlebens nie ganz. Die Klangdimension der Sprache hat ihr Eigenleben behalten; in Liebesbekundungen ebenso wie in Witz, Schmerz und Traum – und in jedem guten Gedicht. Czernins Verse bauen auf den Klang. Man muss sie laut lesen. Strenge und Schönheit überstrahlen. Ein Singsang, der Silben lose verbindet und Bilder hervorbringt, die in keiner logischen Folge zu stehen scheinen. Anagramme wie „not – ton“, „rot – tor“, „laub – blau“ verweben sich mit Lautwiederholungen und treiben durch den Rhythmus den Text voran.
Die acht Zeilen des Gedichtes teilen sich. Die einleitenden starken Vokale des ersten Vierzeilers, „bögen – felder“, kehren wieder im abschließenden „zögen – wälder“. Der zweite Vierzeiler ist parallel konstruiert („biegen – fehlern“, „liegen – talern“). Man weiß in diesem Gedicht nie, ob einzelne Silben, Worte oder Sätze um der Aussage oder um des Lautes willen geschaffen wurden. Der Sinn transformiert sich in Klang, und der Klang generiert Sinn. So kann „aus Tritt um Tritt ins Leere eine Leiter werden“ wie Czernin einmal das Wirken seiner Poesie beschrieb.
Das Gedicht „zwischen bögen, über felder“ ist ein Lob der Dichtkunst. Der Ton (er macht „die türen auf“, heißt es) kann dem Wort neue Schwingräume erschließen. Aus dem lachenden Spiel einer Buchstabenverkehrung („not“) heraus können Tiere auf Feldern erscheinen. Dort bleiben sie nicht. Sie brechen – wie die Verse – ins Weiterleben auf:
wie sie zögen in die wälder.
Der Konjunktiv erinnert ans Kinderspiel: „Und dann wärst du die Mama, und ich wäre wohl das Kind, und wir gingen gemeinsam einkaufen“, spielten wir damals.
Im zweiten Teil geben die „fehler“ den akustischen Halt. Wo wir uns die Dinge im Schreiben zurechtbiegen, anstatt ihnen ihre Freiheit zu lassen, werden sie „rot“. Blutrot? Das „blau“ der Tinte dröhnt wie ein Geschwader in das Blätterwald-Laub, das an Vergänglichkeit gemahnt:
wie wir liegen unter talern.
In dieser letzten Zeile steckt ein Hinweis: In Arthur Rimbauds „Schläfer im Tal“ liegt ein Kriegstoter in einem grünen Bett auf blauer Kresse mit drei roten Löchern in der Seite. Ein Idyll des Schreckens, das Czernin auch mit den Farben (Rot, Blau, Grün) in sein Gedicht hineinruft. Das Komma, das Czernin ans Ende gesetzt hat, erzählt von der – möglichen – Gewissheit, dass mit dem Ende nichts zu Ende ist. Es wird etwas kommen: ein Wort, ein Vers? Schon immer gibt es Laut-Poesie. Czernin gehört ebenso wie Franz Mon oder Oskar Pastior nicht zu den reinen Lautpoeten, er spielt nicht allein um des Spieles willen. Er zurrt seine Strickleitern des Klangs derart fest, dass auch der Sinn mitunter in andere Höhen klettern kann. Poesie, deine Kraft ist Entführung!
Marie Luise Knott, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfunddreißigster Band, Insel Verlag, 2012
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