STUDIE
Ich kam mir schon lange verdächtig vor,
und gestern heftete ich mich an meine Fersen
und beschattete mich unauffällig den ganzen Tag.
Nun gut, ich bin weit gefährlicher,
als ich dachte.
Wenn ich auf die Straße trete, blicke ich
nach rechts und links,
als fotografierte ich fortwährend
Gebäude, Menschen, Telegrafenstangen
und alle Reichtümer.
Ohne ersichtlichen Grund
(lies: um nicht erkannt zu werden)
verändere ich ständig meinen Seelenausdruck,
mein Gesicht ist das reinste Morsealphabet,
alle Augenblicke funkt es Gott weiß was für
Geheimnisse an die Mondmenschen,
die dort oben lange Ohren machen.
Wenn ich am Tisch sitze,
reiße ich ein Blatt Papier
in lauter kleine Schnitzel, die ich zusammenknülle
und sofort der Vergessenheit anheimfallen lasse,
was seltsam genug ist.
Abends seile ich mich sogar in meinen Schlaf hinunter
(an einer Leine, die ich eigens zu diesem Zweck
bei mir trage),
um zu sehn, was das Subjekt dort
zu offenbaren hat, was es
spontan erinnert und −
das Wichtigste −
wer ihm diese Sachverhalte
zwischen den Dingen
zuträgt.
Dann fülle ich
die Karteikarte aus.
Übertragen von Dieter Roth
Nicht nur in der rumänischen Lyrik sind die phantasievollen und zugleich gedanklich strengen Verse Marin Sorescus ungewöhnlich. In ihnen verwandelt er spielerisch die realen Dinge in andere, eignet sich so die Welt an, die in seine Gedichte drängt und eröffnet überraschende Blickwinkel. Marin Sorescu rebelliert gegen alles Erstarrte in der Dichtung und mit der Dichtung gegen alles Erstarrte in der Wirklichkeit.
Ankündigung in Günther Weisenborn: Poesiealbum 196, Verlag Neues Leben, 1984
mit den scharfen Instrumenten der Ironie und des Spottes brüchig gewordene Dichtungsmodelle zu demontieren, erwies sich frühzeitig als Rebellion gegen abgenutzte dichterische Inhalte. Die romantisierend-klischeehafte Behandlung großer poetischer Themen wie Tod, Leben, Liebe entmystifiziert er durch virtuos beherrschte sprachliche Bagatellisierung und stellt sie damit erneut zur Diskussion. Zupackend epigrammhaft setzt er sich mit Trägheit, Gleichgültigkeit und Feigheit als unseren heutigen Feinden auseinander, eine Auseinandersetzung, in die er seine Leser mit spöttischem Augenzwinkern einbezieht.
Eva Behring, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1984
SORESCUS HIMMELSLEITER
Hegel verglich er
mit einer Seidenraupe
die an Maulbeerblättern nagt
In seinem letzten Gedicht
hängt alles an einem Faden
über dem Krankenbett
der in die wolkige Decke führt
Harald Hartung
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