DIE PROPAGANDA SCHMINKT, DAS ECHO FRISST DIE TÖNE
Die Propaganda schminkt, das Echo frisst die Töne.
Die Anakonda pirscht, sie möchte Pfand dort: Geiss.
Die Störch’ sind tapfer. Mond pack an: die Toga heiss.
In Sofadach drang Streitpodest, im Pack die Söhne.
Schöpfst Mond, die Geistparade, da Koran, Schiiten.
Spei schnöde Schopf, dein Takt ist die Mandragora.
Die Sodompförtner seicht, da nackt, das Gipsei naht.
Sporadisch Sonntagsköpfe da: macht dies die Riten?
Sonaten köpf’ die Not; ist Scham da, sprich die Garde.
Die Mopssicht schön; die Gnad’: ei, straf Adept Koran.
Meid Pfad, sag Eid, koch, tröste schon – dein Partisan.
Dein Kopf sticht, schad; porös die Tage in Mansarde.
Dort schmink’ das Echo rein; ei Teig da, Pfand pastös.
Drin doch die Schrei fad, in Staat Gestank pompös.
Im Sommer 1986 nahm mich ein Nachruf auf den Schweizer Multikünstler Andre Thomkins gefangen. Felix Philipp Ingold bildete dabei in der Wochenendausgabe der Neuen Zürcher Zeitung folgende Lettern ab:
STAUB
BAUST
TABUS
Ich startete eine Reise in die Welt der Anagramme. Und heute bin ich verstrickt in den vieldimensionalen Gebilden von Sprache, Silben, Metrik, Reim, Sonett, Haiku, Akronym, Distichon und Anagrammsonett.
Meine heutigen Erfahrungen sind vergleichbar mit meinen ersten Eindrücken mit geschriebener Sprache im Frühjahr 1954. Und vor mir liegen noch viele Reifeprüfungen. Die erstmals entdeckte Welt der Anagrammsonette ist an viele Regeln gebunden. Und doch habe ich gerade darin eine viel grössere, phantastische Form für meine Sprachwelt gefunden. Unverhofft sind für mich Inhalte sagbar, mitteilbar geworden.
Was will ich mit meinen Anagrammsonetten? Erfahrungen mit Neuem mitteilen und teilen zu können ist für mich etwas Schönes. Vielleicht sind es auch Appelle. Sprache hat unerhörte Facetten. Ich will aufbrechen.
Meine Poesie ist im Zeitalter der Informations-Highways am anderen Ende der Sinuskurve. Die Pendelausschläge kommen zurück: sagt die Physik.
Ein Anagrammsonett ist für mich wie eine dreistimmige Invention von Bach: Harmonien allein genügen nicht. Mit zwei Händen werden drei Stimmen gespielt, feinst durchwoben, wohlproportioniert. Der Rhythmus ist streng, konsequent und kennt keine Ausnahmen. Ein Anagrammsonett tönt für mich wie ein Klavierkonzert von Mozart mit vier Sätzen: hell, so leicht, transparent, mit lichten Tönen und Varationen, beklatscht – oder gemieden? Manchmal schimmert jedoch Beethovens Schwermut durch.
Ein Anagrammsonett spiegelt für mich auch die Lebensreise, wie ein Würfelspiel, vierzehnmal gewürfelt. Alles ist immer wieder neu, und doch sind es immer wieder dieselben 30 oder 40 Buchstaben. Die Harmonie in einer Zeile kann wechseln so wie ein ganzer Lebensabschnitt unterschiedliche Harmonie ausstrahlt.
Die Silbensprache, die Vokalfolgen sind manchmal wie ein Stück einer 12-Ton-Musik mit ungewohnten Akkorden.
Mein Anagrammsonett ist nicht gerade die Seerose von Monet, wo jeder/jede A und O sagt. Aber vielfarben ist das Sprachgemälde allemal.
Das Aufbrechen von eingeschliffenen Denkmustern liegt mir nah. Neue Fäden kann man nur spinnen mit neuem Erkennen. Die spannende Erlebniswelt in der Tiefe des Grand Canyon ist atemberaubend. Doch erst von der Ebene des Hochplateaus aus gelange ich in viele, ganz neue Welten.
Oft ist für mich das Anagrammsonett wie eine Schachpartie. Jede Zeile ist eine kurze Folge von Schachzügen. Der Schluss der vierzehnten Zeile hat ins volle Mittelspiel geführt, wo ein reiches Feld an Opferzügen, Abtauschmöglichkeiten, Durchbruchstrategien offen daliegt und jeder Spieler seine eigene Fortsetzung realisiert.
Das Festlegen der Ausgangszeile ist wie die von Weiss gewählte Eröffnung: es sind Einschränkungen, bezogen auf alle möglichen Züge, und trotzdem liegen unendlich viele Varianten offen.
Beim Schach sind es 32 Figuren, im Anagrammsonett sind es 26 Buchstaben. Neben den Regeln gibt es Opferkombinationen oder Wortverführungen. Bekanntes wechselt immer wieder neu mit Unbekanntem, Unerwartetem ab.
Homonyme sind wie Farbtupfer in einem Sommergartengemälde, wie Synkopen: Rhythmus eines Sprachgedankens. Saure Böden für Rhododendren wechseln ab mit traditionellem Humus für Rosen oder Fuchsien.
Anagrammsonette sind Vexierspiele.
Kommunikation kann aufleben in einem neuen Schlüssel: nicht Sopran- oder Bassschlüssel sondern Anagrammschlüssel. Der Zugang zur 26-Ton-Musik ist voller Überraschungen, aufgeschrieben in einer neuen, ungehörten Herz-Skala. Feinstrukturen werden visualisiert und moduliert.
Der Mathematiker Mandelbrot hat mit seinen Betrachtungen zum Chaos eine neue Ordnung und eine neue Sicht realer Gesetzmässigkeiten in der Natur möglich gemacht. Die anamathematische Doppelhelix von Anagramm und Sonett erschliesst eine verborgene Welt. Die Saiten dieses Instruments werden aber überhaupt erst zum Klingen gebracht durch dieses Verweben anscheinend unvereinbarer Gegensätze.
Mario Billia, Nachwort
legt in der von Felix Philipp Ingold herausgegeben bibliophilen Reihe Arbeiten auf Papier unter dem Titel Ein Staatsstreich raubt Demokratie 66 Anagrammsonette vor. Dass Billia von Haus aus Chemiker ist, erstaunt angesichts des hochelaborierten poetischen Verfahrens, das er einschlägt, nicht: Er variiert über die 13 verbleibenden Zeilen des Sonetts die Buchstabenfolge der ersten; aus dieser Buchstabenkombinatorik gewinnt er Verse, die das Reimschema eines Sonetts sowie dessen Strophengliederung ein- und zudem das Versmass der Anfangszeile durchhalten. Dies allein ist eine beachtliche Leistung. Sie rechtfertigt eine bibliophile Edition aus sich selbst. Der aus St. Gallen stammende Künstler Peter Z. Herzog steuerte zu dem Gedichtband 25 Papierarbeiten bei. Fern aller Illustration flankieren sie Billias Experimente mit gleichrangigem Formwitz: als Musterstücke von Herzogs anarchischer Fantasie.
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