MADONNA IM ROSENHAG
flüchtig die Bäume, flüchtig
Erlenwäldchen, über die Wiese
seltsam verzögerte Körper,
im Trauerflor gegen
ein schwärzliches Licht und
noch eingehüllt in die Wärme
eines abendlichen Asphalts,
Körper, flüchtig wie Bäume, wie
blasse beleuchtete Birken,
Herbarien sind wir, die Räume
werden in uns leichter, schwerer,
zerblätternde Schwärme, lindgrün
pappelgrau, wanderndes klammes
Andenken an Steineichen, knirschende
Wiesen Kies
das alles der Tod
wird es sein
verschwiegene Liebe Ziehen
loser Horizonte
die Zerstreutheit bestickt mit ersten Sternen
in ihren Gedichten Gefühle nicht direkt an, sondern bindet sie an Objekte. Dabei verschiebt sie die Grenzen zwischen inneren Zuständen und äußeren Materialien, zeigt das Ich in dieser paradoxen Bewegung. Die Gedichte tragen in einer erkennbar eigenen Melodie ferne Landschaften und nahe Räume vors Auge. Reich ist das Inventar, ein bewundernswerter sprachlicher Reichtum. Ihre poetische Welt beginnt in der Topografie bekannter Erfahrung, um von dort das Fremde, Ungewöhnliche aufzurufen. Ob „Merkblätter für flachgelegte Häuser“, eine „Barocke Serie“ mit Madonnenporträts oder das Verschwinden im Weiß in „Sibirische Elegien“, sie verliert sich nicht im kunstvollen Gestalten. Immer führt ihr genauer Sprachfluß in eindrucksvollen metaphorischen Wendungen durch die drei verschiedenen Kapitel ihres ersten Gedichtbandes.
zu Klampen! verlag, Ankündigung
– Permafrost: Marion Poschmanns Gedichte helfen überwintern. –
In den Gedichten Marion Poschmanns hört man nicht auf Befehle. Trotzdem unterliegt das „Ich“ hier äußeren Zwängen, die vielleicht noch stärker fordern: „eine Zartheit befolgt, ein Herzklopfen, beinah / Anordnung (Flageolett)“, so beginnt „winterliche Anwendung mit Teelichtern“. Berichtet wird hier von einer Einladung vielleicht zum Kaffee oder Glühweintrinken, von einer unerwarteten, fast physikalischen Anziehungkraft, die nicht aus einer Handlung, einer „Zärtlichkeit“, sondern aus einer Eigenschaft, der „Zartheit“, hervorgeht. Kein voller Ton der offenen Avance herrscht, sondern der leise, leicht überhörbare Flageoletton, bei dem man die Gitarrensaite nur berührt, aber nicht fest auf das Griffbrett drückt.
Genau so ist das Ergebnis dieser eigenartig fordernd-flüchtigen Begegnung: Man macht sich los, „ein paar Fluchtpunkte sachte verschoben“. Die „Anwendung“ ist keine von Gewalt, mehr eine Art amouröser Naturheilkunde. Wie schon im bemerkenswerten Debüt der 1969 geborenen Autorin aus diesem Frühjahr, dem Roman Baden bei Gewitter, sind die Kräfte, die hier zwischen Körpern und Dingen wirken, kaum meßbar und hinterlassen doch Spuren von Verstörung: „die Schatten der Wolken fuhren dir übers Gesicht“, endet eine weitere impressionistische Liebesszene. Überhaupt erinnern viele der Gedichte an Skizzen, in denen die Feder ebenso leicht über das Papier streicht wie die Hand über die Haut des Geliebten:
es roch nach Kamille und
was uns gefiel war die Feingliedrigkeit
wie von Schaltplänen, hängende Gräser
mit Meerblick
Als „Stillleben“ bezeichnet Poschmann mehrere Gedichte des ersten Teils, aber auch die daran anschließenden zwölf Stücke der „Barocken Serie“ neigen zur Fixierung von Gefühlszuständen, zur Erstarrung in skulpturalen Posen wie zum Modellstehen für einen Bildhauer:
Tauben
schlafen nachts auf deinem Haupt wenn du
innerlich brennend als schweigende Straßenlaterne
vor ihrem Fenster wachst
Der „Schutzmantelmadonna“, so der Titel des ersten Gedichts des Zyklus, gesellt sich schon bald die „Madonna mit den grünen Birnen“ – „ganz mit Efeu bewachsen, zurechtgemacht / wie die Geliebten auf alten Kirchportalen“ – oder auch eine „Madonna und Zitrone“ an die Seite. Doch Frauenporträts sind das nicht, eher werden hier Kleider aus einem zeitlos-mythischen Fundus anprobiert, die die realistische Beschreibung überformen. Die „Röhrenjeans“ wird da zur Rüstung, zum „Schutzblech gegen den Dreck der Alltäglichkeit“.
Getrocknete Blumen, erfrorene, im Frost stillgelegte Natur, konserviertes Leben – Marion Poschmann umkreist immer wieder neu Zustände der Erstarrung, die zugleich eine Erlösung von Zeit und Vergehen sind. Die Verweigerung der Bewegung balanciert am Rande des Pathologischen, der Katatonie: Ach, könnte man doch nur zum Bild, zum Holzschnitt werden. Diese melancholisch verhangenen Stücke, die im dritten Teil, den „Sibirischen Elegien“, ihre landschaftliche Entsprechung im Permafrost finden, werden nur selten von euphorischen Bildern konterkariert, und auch hier kann man noch die Herkunft vom Gefrierpunkt erkennen: Die „stiebenden Lippen, knisternden Finger“ erscheinen dann wie auftauende Holzscheite, die man fürs Kaminfeuer aus der Kälte ins Haus geholt hat. In der ausgelassenen „Gnadenanstalt“ wird das Liebesspiel umgekehrt zum „Einzuckern“, das schwere „kandierte“ Körper zurückläßt – auch hier der Wunsch nach Überwinterung, Konservierung: Süße, mach mich an, mach mich ein.
Manche der metrisch freien und reimlosen Texte sind freilich weniger kandiert als überkandidelt, vor allem, wenn Metaphernfelder wie etwa Fußball oder Handarbeit einem ganzen Text die Struktur vorgeben wollen und mitunter in schiefen oder trivialen Bildern ausgleiten: Wenn etwa die „Madonna mit dem Einhorn“ „ihren Lebenfaden zu Wollknäulen“ wickelt und die Männer in „Netzen und Fallen“ verstrickt. Nicht alles ist in diesem inhaltlich geschlossenen Band geglückt, manches nur Talentprobe. Einzelne Gedichte jedoch sind makellos. So das Herbststück „Madonna mit dem Kind und Engeln“, vom dem nur die zweite Hälfte zitiert sei:
hier und da glitzert ausklingende Angst
Flüssigkeit, Frühe
in den Kratern sammelt sich Schlaf, schwere
Reste des Unwetters ziehen
Lider und Gliedmaßen mit sich,
Blüten liegen verstreut, die Tiefen
noch warm, warten wieder
auf unser Verschwinden
– Marion Poschmann, deren Romandebüt Baden bei Gewitter im letzten Jahr bei der Frankfurter Verlagsanstalt herauskam, hat nun auch ihren ersten Gedichtband in der von Heinz Kattner herausgegebenen Lyrik-Edition des zu Klampen Verlags veröffentlicht, den sie in drei Abteilungen gegliedert hat. Diese spannen thematisch einen kühnen, um nicht zu sagen sehr kühnen Bogen von „Merkblätter(n) für nachgelegte Häuser“ über Madonnengedichte („Barocke Serie“) bis hin zu „Sibirische(n) Elegien“. Auch Stillage und Perspektive variieren deutlich in Abhängigkeit vom jeweiligen Sujet. –
Im ersten Teil dominiert eine Sichtweise, welche den Leser zum Beobachter von Versuchsanordnungen werden läßt. Dafür stehen nicht nur explizite Schlüsselwörter wie „black box“, „Reiz-Reaktions-Schema“ oder „REM-Phase“, insgesamt erfolgt sowohl die Begegnung mit einem Du als auch die Kontaktaufnahme mit einer wie immer auch gearteten Umgebung auf eine prüfende, vermittelte Art und Weise:
du testest im Schlaf
das Fassungsvermögen der Hände.
Eine besondere Rolle spielt dabei der Tastsinn, das (Auf)Spüren mit den Fingern: „du tastest mich ab“, „das aufreibende Herumtasten / an den vertrauten Erscheinungen.“
Immer wieder werden die Finger ,befühlt‘, in die Tasche gesteckt, in ein Taschentuch vergraben. Ein unmittelbarer Zugang zum anderen, zur Welt gelingt selten, dafür sorgt schon die weiß-grauschwarze Szenerie, die in den meisten Gedichten vorherrscht, selbst wenn sie nicht ausdrücklich Schauplätze wie einen „Betriebsbahnhof“ oder „flachgelegte Häuser“ haben.
Poschmann gewinnt ihrer Kühle, manchmal auch Trostlosigkeit aber überraschende gedankliche Facetten ab:
Hier endet der Geltungsbereich der Tapete.
Den Einfluß verschnörkelter Muster benutzte man
zur Befriedung des Geistes.
Dadurch wird das Versinken in einer drögen, düsteren Melancholie verhindert.
Ganz anders liest sich die „Barocke Serie“ – vordergründig zunächst einmal eine Präsentation der verschiedenen Madonnendarstellungen, und zwar nicht nur aus dem Barock. Bezüge zu Schongauer, Dürer etwa sind ebenso erkennbar wie explizite Hinweise auf den „weichen Stil“ der Gotik. Das allein wäre aber bloße Kunstgeschichte, berechtigte nicht zu einer Aufnahme in einen Band mit zeitgenössischen Gedichten.
Die Autorin bringt die Madonnen jedoch zum Sprechen, oft in der indirekten Rede, und versetzt sie in unsere Lebenswelt, sodaß manchmal gar nicht zu entscheiden ist, ob ein aktuelles ,Frauenbild‘ eine bestimmte Madonnendarstellung evoziert oder umgekehrt:
sie sitze mit steifem Genick, ihren Lebensfaden
zu Wollknäueln wickelnd, die Netze und Fallen,
in die sie die Männer verstricke…
Manchmal wollen Altes und Neues sich nicht vertragen, zum Beispiel wenn Poschmann partout Fußballwörter einer Madonna anheften möchte:
die Biegung des Körpers ahmte den feinen
Umriß der Birken nach, Kopfstoß ins Leere,
dann Abpfiff…
In der Regel aber ergeben sich aus den Projektionen zeitgenössischen Bild- und Wortmaterials auf kunsthistorisch vertraute Haltungen und Gesten immer wieder reizvolle Parallelen und Kontraste:
es ist die Zeit des weichen Stils
oftmals habe sie den Eindruck gehabt,
leichten Körpers der Erde enthoben zu werden…
Der Zyklus „Sibirische Elegien“ bietet die konkretesten, in einigen Passagen deskriptiven Gedichte dieses Bandes. Das Landschaftsgedicht hat ja immer das Problem sich von der Beschreibung abzugrenzen: Einerseits braucht es als Grundlage eine zumindest skizzenhafte Imagination der in Rede stehenden Orte, andererseits schwankt es zwischen den Gefahren bloßer Farbtupfer und der Redseligkeit einer Erzählung. Um hier hindurchzusteuern, bedarf es in der Regel einer brechenden Linse, vertreten durch das lyrische Ich.
Marion Poschmann forciert dessen Rolle, indem sie – für meinen Geschmack manchmal zu dominant – darüber hinaus die Selbstanrede, das lyrische Du, verstärkt einsetzt:
Du vergewisserst dich nicht, du behältst
dieses Bild, dieses Phlegma, du hältst es stabil,
betrachtest das Geistige: alles, was vor dir liegt.
Hier und an anderen Stellen wäre besser gewesen auf das „Ich“ allein zu vertrauen, gerade in seiner oftmaligen Isolation vor dem beherrschenden Weiß dieser Landschaft.
„Die Landschaft steht still“, vermittelt ein Gefühl von Leere, auch Trägheit, in das sich abstrakte Formen, Linien hineinzeichnen. So wird die Umgebung in ihrem Materialcharakter wahrgenommen („Transparentes“; „Geknittertes“; „Gerastertes“; „Vorlagen für eine Landschaft“), aber dann auch wieder als konkret faßbar, übermächtig:
du aber
in diesem Vorrücken von Grau und Weiß
eine flüchtige Lücke,
die sich dann schließt.
Diese Doppelung der Perspektive – einerseits in der Landschaft zu ,verschwinden‘, andererseits sie in die Distanz zu rücken, eine Wortzeichnung von ihr anzufertigen – diese Doppelung läßt Bedrohung und Hilflosigkeit deutlich werden, aber auch die Anziehungskraft „einer Gegend / in die du dich einträgst, / auf der du bestehst“.
Gerd Kolter, die horen, Heft 211, 3. Quartal 2003
In dem Band sind ganz phantastische Gedichte die sich mit sozialen, gesellschaftlichen und teilweise architektonischen Zusammenhängen befassen. Die Autorin hat alles entwickelt, hin bis zu ehrenwerten philosophischen Problemen.
Mit ihrer beschreibenden Prosasprache und mit großer Kunstfertigkeit, überzeugt die Marion Poschmann, und lässt dabei erkennen, wie auffallend belesen und wie kunstgeschichtlich interessiert sie ist. So entwirft sie in ihren Gedichten Selbstportraits, beschreibt lyrische Stadtlandschaften oder komponiert hinreißende Liebesgedichte. Die Normalität definiert sie zuweilen mit einer glasscharfen ironischen Sprache.
Und dann sind da auch Gedichte, bei denen merkt man, dass die Autorin durch irgendeinen Umstand erschüttert, aufgewühlt worden ist. Und wie sie dann versucht, diese Fassungslosigkeit, diese Konsternation wieder auf die rechte Bahn zu bringen, das ist unglaublich bewegend, unheimlich rührend.
Dieser Gedichtband von Marion Poschmann zeigt einen ganz eigenen Tonfall, wie er sich schon in den lyrischen Passagen ihres Debütromans Baden bei Gewitter angekündigt hat. Mit modernsten lyrischen Mitteln wird zugleich etwas von der Sprengkraft der Metapher und einer überraschend üppigen Bildlichkeit aufgerufen. So entfalten die Gedichte bei aller Sprachskepsis, bei allem In-Frage-Stehen der Wirklichkeit einfühlbare, berührende Gefühlswelten, anders als in so vielen kopflastigen Produktionen. Lyrische Stadt-Landschaften, die melancholisch und bisweilen bissig vermeintliche Normalität ins Visier nehmen, Liebesgedichte voll schwebender Erotik, Selbstporträts, die sich in die Ikonographie der Madonna hineinschreiben, existenzielle Begegnungen mit Tod und Entgrenzung in „Sibirischen Elegien“ enthält der Band. Marion Poschmann gelingt, das scheinbar Vertraute als Fremdes zu zeigen, und um so mehr trifft den Leser die Wucht eines unerwarteten Wiedererkennens, das sich in einem umkreisten, aber geheimnisvoll bleibenden Seelenraum abspielt.
Ron Winkler: Beim Unscheinbaren beginnen
literaturkritik.de, September 2003
Ron Winkler: Keine Absehbarkeit propagieren
kritische-ausgabe.de
Katrin Hillgruber: Von Quallen und Wolken. Laudatio auf Marion Poschmann zum Joseph-Breitbach-Preis 2023
Thomas Hummitzsch im Gespräch mit Marion Poschmann: Fail better oder: Zum Schreiben berufen
Marion Poschmann und Yvonne Pauly im Gespräch über Lyrik, Natur und Morphologie
Marion Poschmann im Rahmen des Festivals „Welttag(e) der Poesie“ 2018 in Belgrad.
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