Matthias Buth: Gott ist der Dichter

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Matthias Buth: Gott ist der Dichter

Buth-Gott ist der Dichter

SCHLAG AUF

Gutenberg wusste wie sich die Welt öffnet
Das Buch musste geschlagen werden
Mit der Faust und feste

Damit die Spangen den Druck sprengten
Von oben und unten und die Seiten niederknieten
Damit sich die Decke zurückgeschlagen ließ

Und den Blick freigab ins Innere der Sätze
Die nicht mehr auf und davon konnten sondern
Ausgeliefert waren den Augen

Dem Lampedusa warmen Atem der Flüchtlinge
Ausgetanzt von Schlauchbooten
Im Meer ohne Mitte

Den verdorrten Lippen der Frauen
Salz presste und siegelte die Nacht
Aus Libyen und aus dem Tschad

Den Kindern in toten Bündeln
Herübergereicht in den Arm des Matrosen
Der nicht mehr singen kann

Den Wartenden am Strand
Die auf Olivenkernen kauen
Und sich in den Booten sehen

 

 

 

Stimmen zur Lyrik von Matthias Buth

Er ist ein Meister der Reduktion. Gedichte sind beim ihm Verdichtungen auf das Äußerste hin. Wenige Zeilen genügen, um eine Situation aufleuchten zu lassen.
Hans Dieter Schmidt

Er verschwistert Prägnanz und Poetizität, die seiner Lyrik Tragfähigkeit und Ausstrahlung verleihen.
Karl Krolow

Jede Zeile ist Teil des ganzen Gedichts und zugleich ein in sich geschlossenes lyrisches Element. Die Worte schweben ohne jeden Ballst über dem Bedeutungsgrund.
Ulrike Gondorf

Was zeigt sich in diesen Gedichten? Der Entzug. Die Sehnsucht nach Fülle des Tages, nach Ankunft und Bleibe. Insofern sind sie romantisch. Alles atmet Geschichte, hat Vergangenheit. Ihr beschreibbarer Mangel an Zukunft rührt vom Glanz ferner Zeiten her. So benennen die Gedichte Buths vieles, ihr Zentrum haben sie jedoch im Unbenennbaren. Demjenigen, was sich entzieht, was man ersehnt.
Jiri Gruša

Semantische und sprachlich-formale Konzentration, Fundierung des wesentlichen poetischen Einfalls in der Metapher: das ist der methodische Impetus. In die Enge gehen, um ins Weite zu kommen.
Franz Norbert Mennemeier

Die in Bewegung dargestellten Bilder oder Handlungen überspringen semantische Kohärenzen, sodass in den auf diese Art entstandenen offenen Sinngebungsräumen die Absenz von Objekten der Imagination vorauseilt. Darüber hinaus sind die lyrischen Bilder ohne zeitliche Eingrenzung; die wirklichkeitsentfremdeten Objekte können somit in der Vorstellung des Lesers frei verändert werden. Auf diese Weise ist der Leser am Vorgang des Dichtens direkt beteiligt. Die Notwendigkeit der Poesie gründet für Buth, wie auch für die Romantiker, im Bedürfnis, die unendliche Einheit und unendliche Fülle darzustellen. Dass diese Einheit jedoch nur in insularen Augenblicksempfindungen möglich ist, dass innigste Zweisamkeit Erlösung bewirken kann, jedoch nur auf Zeit, dass Zerrissenheit und Ich-Gespaltenheit die Seele verwundet und sprengt – Buth spricht in einem seiner Gedichte von der großen Wunde Gott –, all diese Einsichten werden allein durch Bilder der Sehnsucht und des Heimwehs erträglich.
Norina Procopan

Matthias Buths lyrische Sprache verfügt über verschiedene Register, um die Komplexität des Lebens darzustellen, sie ist jederzeit auf das Wesentliche reduziert und kennt keine Geschwätzigkeit, denn sie nimmt sich ihren Beobachtungen mit existentiellem Ernst an. Hier spricht einer, der nachtrauert, seine Trauer aber mit nüchternem Scharfblick und einer wohldosierten Prise Heine’scher Ironie bricht.
Die subtile Binnenspannung in seinen Gedichten entsteht durch einen nüchternen, essay- und kommentarnahen Zugriff auf der einen Seite und die geradezu verschwenderisch ausgestreute Metaphorik auf der anderen Seite. Dabei werde alle Sinne zugleich angesprochen, denn immer wieder finden sich synästhetische Wahrnehmungen, in denen Gehörtes mit Gesehenem verschmilzt, Farben in Dur- und moll-Tonarten artikulieren, Sonarwellen, Magnetismus und Atem von gleicher Wesenhaftigkeit sind.
Jürgen Brôcan

Zur sprachlichen Präzision kommt in Buths Gedichten noch eine Dimension: Er gibt dem Sprachfluss einen Rhythmus, der sich als musikalisch verstehen lässt. Das hängt offenkundig damit zusammen, dass sich Buth intensiv mit Musik beschäftigt, Musikstücke und Komponisten sind Gegenstand von Gedichten. Umgekehrt haben Musiker wie der israelische Komponist Abel Ehrlich und sein deutscher Kollege Thomas Blomenkamp zahlreiche Gedichte von Buth vertont.
Thomas Rausch

In Matthias Buths Gedichten finden einleuchtende Wahrnehmungskombinationen und behutsam über Schweigeräume ausschwingende Assoziationen als Partner zusammen. Nicht verrätselt sind sie, sondern von geheimnisvoller Transparenz.
Peter Motzan

Selten habe ich in der Gegenwartslyrik für unendliche Verlassenheit poetische Bilder von solch tragischer Ironie gefunden. Ich bewundere, wie Beobachtungen, Reflexionen oder Erfahrungen unmittelbar in Poesie umgesetzt werden: Keine Krücken der Vermittlung.
Walter Hinck

Buths Empathie für Osteuropa inspirierte eines seiner besten Werke in diesem Band (Gnus werden auf der Flucht geboren, 2015), das Poem „Liebliche Wohnungen“. Es geht um das Schicksal einer rumänischen Witwe, welche nach Ceausescus Sturz, im Laufe der beginnenden Privatisierung ihre verstaatlichte Wohnung zu einem Spottpreis kaufte und bald darauf zu ihrer in Köln wohnenden Tochter auszog. Die spärlichen Quadratmeter Wohnfläche stehen seitdem leer: „Die Nachbarin vom Nebenhaus / Schaut immer mal vorbei / Hängt Handtücher in Bad und Küche / Lüftet und belebt die Abwesenheit / Die Betten warten vergeblich wie die / Fotos auf Schränken Tischen Absätzen.“ Eine präzise Diagnose des unsichtbaren, heimlos gewordenen ehemaligen Ostblocks. Matthias Buth kennt noch etwas aus jenen alten Zeiten, als die Literatur ihren vorindustriellen Charme noch nicht verloren hatte: die Direktheit der poetischen Subjektivität und die Freiheit sich der, zugegeben, kleiner gewordenen Leserschaft mitzuteilen. Seine Texte wirken handschriftlich. Vielleicht bearbeitet er sie mit dem Computer und macht manchmal im Umgang mit dem Gerät Fehler. Wie er selbst zugibt: „Datenverlust / Welch ein Segen / Ich kann neu beginnen / Komm / Ich nehm Dich mit.“
György Dalos

 

Gott ist der Dichter

Der geschundenen Kreatur, dem namenlosen Kind aus Aleppo oder dem Donbass, setzt Matthias Buth ebenso ein gereimtes Zeichen („Weihnachten“, Seite 61) wie den Flüchtlingen vor Lampedusa, „ausgetanzt von Schlauchbooten, / Im Meer ohne Mitte“ („Schlag zu“, S. 53).
Unser Buch des Monats. In ihm taucht ein bekannter Wuppertaler auf, der die letzte Ruhe im fernen Berlin fand. „Dorotheenstädtischer Friedhof – Johannes Rau 1931–2006“ heißt das Poem, dessen letzte neun Zeilen lauten:

In den Stein gemeißelt ist er ganz bei sich
Und ganz der Apostel der er sein wollte
Immer unterwegs auf halber Strecke
Die Toten haben eine tiefere Schrift
Brecht wusste es so wie Heinrich Mann und auch Marcuse
Der rüber winkt als hätten sie alle hier den gleichen Atem

Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth
Sagt die Magd auf rauem Stein

Engels’ Muckertal geht über die Wupper

Das „besondere Heft“ enthält neue Gedichte sowie solche aus bereits erschienenen Bänden (dem aufmerksamen Leser hätte man durchaus das Vergnügen gönnen können, über Nach- und Neudruck detaillierter informiert zu werden).
Darüber hinaus enthält die Veröffentlichung eine Interpretation des Buth-Gedichts „Gemeinde“, die ursprünglich in der FAZ erschienen ist und aus der Feder von Walter Hinck stammt, dem Buth die Verse „Evangelischer Friedhof Volberg in Hoffnungsthal“ widmet.

Buth ist in Wuppertal geboren und aufgewachsen, studierte Rechtswissenschaften (Dr. jur.) und war bis 2016 im Bundeskanzleramt tätig, bevor er sich als Anwalt niederließ. Von seiner Sonnborner Herkunft kündet der „Messdiener“, eine Reminiszenz an die St.-Remigius-Kirche (S. 37).
Das Mitglied des PEN-Zentrums gehört zu den Mitbegründern der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Einen „Juristen, der Lyrik, Literatur und Musik liebt“, nennt ihn sein Verleger Alfred Miersch, dem mit den Buth-Texten zum Reformationsjahr einmal mehr ein prachtvolles „besonderes Heft“ gelungen ist.

Matthias Dohmen, njuuz, 18.5.2017

Für Liebhaber: Neuer Lyrikband von Matthias Buth

Matthias Buths schmaler Gedichtband Gott ist der Dichter ist ein kleines Schmankerl für Bibliophile. Erschienen in der Reihe Die Besonderen Hefte des Wuppertaler NordPark Verlages, präsentiert sich Buths Lyriksammlung auf edlem, cremig-weißem Papier, handgefalzt, handgeheftet und in einen zarten Schutzumschlag eingeschlagen, den eine Grafik des siebenbürgischen Künstlers Gert Fabritius ziert.
Optik und Haptik dieses „besonderen Heftes“ korrespondieren mit den federleichten und zugleich melancholisch aufgeladenen Inhalten:

Milch perlt aus den Manualen
Wenn der Alte
Seine Orgel pflügt
(…)

Siebenweit die Fuge
Sie ist ein Land
Aus rindigen Händen
Warm dampfen die Töne

Der Schnee stellt seine Leiter
An die Ringmauer

Die Ringmauer verrät den Fokus: Siebenbürgen, Rumänien ist eine der Landschaften, die Matthias Buth in seinen Gedichten „verdichtet“, umkreist, mit Worten materialisiert – die „milchperlenden Manuale“ hat er in Großau gefunden und im gleichnamigen Gedicht verewigt. Auch Temeswar und Sibiel, Schäßburg und Holzmengen sowie „Pfarrer Bruno Fröhlich“ haben Eingang in die lyrische Welt Matthias Buths gefunden. Den Beginn aber macht im vorliegenden Band Rothberg. Die Vorstellung des Gedichts „Gemeinde“, Eginald Schlattner gewidmet, die 2007 in der „Frankfurter Anthologie“ der  Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien, eröffnet den Reigen der Werke, die der Autor für diese Veröffentlichung ausgewählt hat.
Der Lyriker Buth ist im wahren Leben promovierter Jurist, geboren 1951 in Wuppertal, und war zuletzt (bis Ende 2016) als Leiter des Justitiariats bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt tätig; seitdem arbeitet er als Rechtsanwalt in einer internationalen Kanzlei. Gedichte, Rezensionen, Essays und Feuilletons veröffentlicht er seit 1973, zudem übersetzt er ins Rumänische, Polnische, Französische und Arabische. So kann man im vorliegenden Band auch „Jordanische Passagen“ abschreiten, wo sich am Nachmittag „Die Felsen mit weichem Rot schminken“, die Wüste „sich spannt wie gezuckerter Tee“ und nach Sonnenuntergang „Die Felsen ritzen Schweigen / In die Spalten“. Vor dem inneren Auge ersteht die „Verheißung“ eines Händlers in Petra:

Lapislazuli
Naturrubin und
Blutschwarze Steine

Von Mädchenhänden in Silber gefasst
Eingelächelte Sterne die atmen

Die kleine, feine Auswahl bereits erschienener sowie ganz neuer Gedichte von Matthias Buth nimmt man auch dank der besonderen Ausstattung sicher mehr als einmal zur Hand; sie schmeichelt Augen und Fingern ebenso wie dem Geist.

Doris Roth, Siebenbürgische Zeitung, 8.11.2017

 

 

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