engelstrompete: schon nach dem ersten zug setzt
aaaaadumpfes brüten
ein, die arme hängen rechts und links herab, vor dem
aaaaamund bunter
schaum. atmung beschleunigt, schenkel unschön
aaaaaverdreht. abwech-
selnd lauscht der berauschte oder geifert
aaaaaherzzerreißend. stöhnt,
ächzt und fällt in tiefen schlaf. nach dem erwachen
aaaaaerzählt er von
längeren reisen und seinen gesprächen mit bense. das klang nach
belang, doch gleichzeitig reichlich gefährlich. ecke witthoh-staffel /
wannenstraße hatte es eine grünanlage gegeben, mit truthahnge-
hege – und die hähne fraßen das zeug. gerieten völlig außer sich.
das hat uns schließlich bewogen. und nie, wirklich nie, hat uns die
pflanze um bilder betrogen. informationsästhetische bilder,
bilder der entropie, geschaute edv usw. wir haben dort eine kybernetische
hütte errichtet, von der aus flogen wir ab. keine ahnung, ob bense
das wußte. vielleicht hat ihm etwas geschwant. wie auch immer.
geraucht hatte sich die wirkung dann doch ein wenig verbraucht.
so wurde gekaut, schließlich gespritzt, und etwas seltsames ge-
schah: es genügten jetzt immer geringere mengen. die depots wa-
ren voll, quollen über, die nennung des namens ersetzte den stoff.
wir formten die klitsche zum sprachlabor um, setzten die kopf-
hörer auf und hauchten uns „engelstrompete“ ins ohr. Beachtlicher
flash. manche begannen, im zustand zu dichten. vielleicht unsre
besten. mit echten karrieren. kurz vor dem olymp verleugnung der
wurzeln. die immer gleiche geschichte: bense – wer ist das? und:
die beste droge ist ein weißes blatt. ihr werk verwese ungelesen.
Ulf Stolterfoht
In Ihrer Neigung zur Renitenz lassen sich die alteingesessenen Bewohner des Stuttgarter Stadtteils Heslach kaum von jemandem übertreffen. Zumindest in den 1970er Jahren, so suggeriert uns das ethnologische Gedicht holzrauch über heslach des Ex-Heslachers und Wahl-Berliners Ulf Stolterfoht, muss sich dort eine antibürgerliche Subkultur mit ausgefallenen nonkonformistischen Ritualen gebildet haben. Der junge Heslacher nährte sich damals offenbar von revolutionären Schriften anarchosyndikalistischen Ursprungs, darüber hinaus von Free Jazz, Stechäpfeln, Tollkirschen, Engelstrompeten und anderen bewusstseinserweiternden Substanzen – und nicht zuletzt von Weizenbier und experimenteller Lyrik. Was Stolterfoht in seinem langen Gedicht über eine besondere schwäbische Population an ethnologischer Recherche zusammengetragen hat, ist weit mehr als eine poetische Liebeserklärung an seine Kindheitslandschaft. Es ist die hinreißende Inszenierung einer ästhetischen Utopie – nämlich des trotzigen Glaubens an eine Poetik des Widerstands, die sich im freien, anti-semantischen Sprechen realisiert. In der Reminiszenz an die animierenden Wirkungen der „engelstrompete“, die hier zum Türöffner für Max Benses informationstheoretische Ästhetik wird, mag sich schon ein früher Impuls für spätere anarchistische Aktivitäten Stolterfohts verbergen. Aus dem „dumpfen brüten“ des Heslachers erwuchs 2011 in unerwarteter Dynamik die diplomatische Überraschungsaktion des TM Brueterich, einem Alter Ego Stolterfohts. Die damals neu begründete Volksrepublik Brueterich hat zum Ziel, die „poetischen Widerstandsnester“ immer weiter zu vermehren.
Michael Braun, Michael Braun (Hrsg.): Lyrik-Taschenkalender 2013, Verlag Das Wunderhorn, 2012
Der Lyrik-Taschenkalender 2013 eröffnet ein kollektives Gespräch über Gedichte und präsentiert als erstes Ergebnis dieses Gesprächs einen kleinen Kanon der deutschsprachigen Lyrik. 17 zeitgenössische Dichterinnen und Dichter waren eingeladen, jeweils zwei Lieblingsgedichte deutscher Sprache auszuwählen und kompakt zu kommentieren. Der Herausgeber des Taschenkalenders stellt seinerseits alle beteiligten Autorinnen und Autoren mit je einem Gedicht vor. So ist ein poetisches Gemeinschaftsunternehmen entstanden, das der Fortsetzung harrt:
Viel hat von Morgen an
Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang. (Hölderlin)
Michael Braun, Vorwort, Frühjahr 2012
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