– Zu Hilde Domins Gedicht „Mit leichtem Gepäck“ aus Hilde Domin: Sämtliche Gedichte. –
HILDE DOMIN
Mit leichtem Gepäck
Gewöhn dich nicht.
Du darfst dich nicht gewöhnen.
Eine Rose ist eine Rose.
Aber ein Heim
ist kein Heim.
Sag dem Schoßhund Gegenstand ab
der dich anwedelt
aus den Schaufenstern.
Er irrt. Du
riechst nicht nach Bleiben.
Ein Löffel ist besser als zwei.
Häng ihn dir um den Hals,
du darfst einen haben,
denn mit der Hand
schöpft sich das Heiße zu schwer.
Es liefe der Zucker dir durch die Finger,
wie der Trost,
wie der Wunsch,
an dem Tag
da er dein wird.
Du darfst einen Löffel haben,
eine Rose,
vielleicht ein Herz
und, vielleicht,
ein Grab.
Dieses Gedicht hat es in sich. Leicht ist es an Adjektiven, die Verse bestehen aus meist kurzen Sätzen, doch wiegen die Hauptwörter umso schwerer, je näher man hinsieht. Entstanden ist „Mit leichtem Gepäck“ Anfang 1960 in Madrid, im gleichen Jahr, am 28. März, erschien es in dieser Zeitung. In Domins zweitem Lyrikband Rückkehr der Schiffe (1962) gehört es zu den Wechselgesängen der Remigration, deren Titel „Unterwegs“, „Fremder“ oder „Orientierung“ lauten.
So stehen diese Verse von Hilde Domin auf der Schwelle zwischen Exil und Rückkehr. 1909 in Köln geboren, 1932 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland geflohen, über Rom, Florenz, Südengland in die, wie es in einem frühen Gedicht heißt, „Inselkäfigexistenz“ der Dominikanischen Republik verschlagen, die in Wahrheit eine Diktatur war, in den 1950er Jahren lange in Spanien lebend – das sind die Stationen einer fast dreißigjährigen Emigration. Im Exil ist Hilde Domin zur Dichterin geworden.
Als „Dichterin vieler Exile“ (Ruth Klüger) hat Hilde Domin zu viel verloren, als dass sie sich jemals an etwas hätte gewöhnen können, schon gar nicht an ein neues „Heim“. Beständig ist nur die „Rose“. Das klassische Symbol, das von Gertrude Stein entzaubert („A rose is a rose is a rose“) und von Benn gelegentlich geschmäht wurde (in dem Gedicht „Nur zwei Dinge“), ist hier die allererste Habseligkeit. In dem Lyrikband Nur eine Rose als Stütze, mit dem Domin 1959 spät debütierte, ist sie der kleine Triumph angesichts großer Verluste: Sie blüht nach dem Exil, im Gedicht und als Gedicht. Mit Ovid ist die Dichterin davon überzeugt, dass Heimat, wenn überhaupt, nur da sein kann, wo man ihre Sprache versteht. Das Gedicht versieht die lebensschweren Erfahrungen mit den Zeichen von Vergänglichkeit und Dauer. Es geht um eine Inventur: Was bleibt, wenn so viele Dinge verlorengegangen sind? Es sind jedenfalls nicht die Gegenstände, die uns aus den vollen Schaufenstern – damals waren es die des deutschen Wirtschaftswunders – anbetteln. Das aparte Bild vom „Schoßhund Gegenstand“, der das Bleiben versüßen würde, wird hier ausdrücklich als Irrtum bezeichnet.
In der dritten Strophe beginnt die Rückkehrerin ihre Bestände zu zählen. Den Wert von einem „Löffel“ hat sie in Santo Domingo schätzen gelernt; dort schöpfte man das Brunnenwasser mit Konservendosen. Er ist ein Gebrauchsgegenstand, den man ungern verliert:
denn mit der Hand
schöpft sich das Heiße zu schwer.
Der „Löffel“ ist das Minimum, das man haben darf, die „Rose“ ist das Maximum, das man besitzen kann, wenn man nicht nach „Bleiben“ riecht. Es ist die Mitgift des Migranten, der nicht mehr zu Hause ist in der verlässlich eingerichteten Welt. Dem jeder Wunsch zwischen den Fingern zerrinnt. Ist es deshalb tröstlich, ein Herz und ein Grab haben zu dürfen? Ein doppeltes „vielleicht“ rät auch hier dazu, sich lieber nicht an etwas Bleibendes zu gewöhnen. Die Orte von Liebe und Tod sind unsicher, die Exilanten und zumal die Juden unter ihnen, denen ein ansprechbares Du und eine letzte Heimstatt versagt waren, können davon ein Lied singen.
Rose und Löffel, Herz und Grab: Es gibt nur diese vier Dinge, Sprache und Existenz, die „Humanität bei Lebzeiten“, an die Domins Römerberg-Rede (1978) appelliert, und das Grab als letztes Reiseziel, zu dem man kein Gepäck mehr braucht. „Mit leichtem Gepäck“ ist Hilde Domins Inventur der Rückkehr, ihr poetisches Grundgesetz.
Michael Braun, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechsunddreißigster Band, Insel Verlag, 2013
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