– Zu Kurt Aeblis Gedicht „Novemberminiatur“ aus Mütze #13. –
KURT AEBLI
Novemberminiatur
Heute ist nur das Rascheln der Blätter
unter meinen Schritten
von mir.
Nicht von mir
ist der Gedanke, daß etwas
von mir sein könnte.
Aus so vielem von mir ist
nichts
geworden, und wär es nicht
nichts geworden, so wär es
nicht viel.
Das Rascheln der Blätter
unter meinen Schritten ist nicht
viel.
Aber es ist
von mir
konzentriert in die eigenen Abgründe zu starren. Auf einem Portrait des Fotografen Dirk Skiba sieht man den 1955 in der Innerschweiz geborenen Kurt Aebli, wie er daran arbeitet, den Blick auf die Leere zu richten. Dazu passen seine Gedichte, in denen er kunstvoll die Aushöhlung der eigenen Subjektivität vorführt. Aebli schreibt in seinen seit 1983 entstandenen Gedichtbänden und Prosabüchern eine Dichtung der letzten Worte. Es ist, als würde dieser Autor in jedem seiner aphoristisch vertrackten Sätze noch ein letztes Mal Atem holen vor dem finalen Schlusspunkt und dem endgültigen Verstummen. Seine skeptizistischen Exerzitien erinnern an die späten Gedichte Günter Eichs, in ihrer Kunst der Weltverneinung und der sarkastischen Heiterkeit. „Die Tapete ist abgereist ich bin noch da“, lautet ein typisches Aebli-Notat. Diese Gedichte kartografieren ungerührt den „Dienstweg zum Nichts“, ohne eine sinnliche oder metaphysische Gewissheit in Aussicht zu stellen. Im vorliegenden Gedicht kann das Ich immerhin noch ein Geräusch als Lebenszeichen markieren, als Beweis des Existierens. Was einst Ich war, ist nun an der Grenze zur Selbstauflösung. Immerhin, es ist noch ein Rascheln da, kann sich hier das Subjekt trösten, das sich beim Verschwinden zusieht.
Michael Braun, Volltext, Heft 3, 2018
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